• Clara Zetkin : - Der Kampf gegen den Faschismus, Bericht auf dem Erweiterten Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale
    (20. Juni 1923)
    https://www.marxists.org/deutsch/archiv/zetkin/1923/06/faschism.htm

    Dans ce discours Clara Zetkin a formulé une bonne définition du fascism qui est toujours utile.

    Das Proletariat hat im Faschismus einen außerordentlich gefährlichen und furchtbaren Feind vor sich. Der Faschismus ist der stärkste, der konzentrierteste, er ist der klassische Ausdruck der Generaloffensive der Weltbourgeoisie in diesem Augenblick. Ihn niederzuringen ist eine elementare Notwendigkeit. Das aber nicht nur im Hinblick auf die historische Existenz des Proletariats als Klasse, die mit der Überwindung des Kapitalismus die Menschheit befreien muß; es ist auch eine Frage der Existenz jedes schlichten Proletariers, eine Frage des Brotes, der Arbeitsbedingungen und der Lebensgestaltung für Millionen und Millionen von Ausgebeuteten. Deshalb muß der Kampf gegen den Faschismus Sache des ganzen Proletariats sein. Es liegt auf der Hand, daß wir diesen tückischen Feind um so eher überwinden, je klarer und schärfer wir sein Wesen und die Auswirkungen seines Wesens erkennen. Bis jetzt ist reichliche Unklarheit über den Faschismus vorhanden gewesen. Nicht nur in den breiten Massen der Proletarier, sondern auch innerhalb ihrer revolutionären Vorhut, unter den Kommunisten. Die Meinung wurde vertreten und war früher wohl vorherrschend, daß der Faschismus nichts sei als gewalttätiger bürgerlicher Terror, und er wurde geschichtlich seinem Wesen und seiner Wirkung nach auf eine Stufe mit dem weißen Schrecken in Horthy-Ungarn gestellt. Aber obgleich die blutigen terroristischen Methoden des Faschismus und des Horthy-Regimes die gleichen sind und sich gleicherweise gegen das Proletariat kehren, ist das geschichtliche Wesen der beiden Erscheinungen außerordentlich verschieden. Der Terror in Ungarn setzte nach einem siegreichen, wenn auch kurzen revolutionären Kampfe des Proletariats ein; die Bourgeoisie hatte vorübergehend vor der Macht des Proletariats gezittert. Der Horthy-Terror kam als Rache gegen die Revolution. Der Vollstrecker dieses Racheaktes ist die kleine Kaste der feudalen Offiziere.

    Anders ist es beim Faschismus. Er ist keineswegs die Rache der Bourgeoisie dafür, daß das Proletariat sich kämpfend erhob. Historisch, objektiv betrachtet, kommt der Faschismus vielmehr als Strafe, weil das Proletariat nicht die Revolution, die in Rußland eingeleitet worden ist, weitergeführt und weitergetrieben hat. Und der Träger des Faschismus ist nicht eine kleine Kaste, sondern es sind breite soziale Schichten, große Massen, die selbst bis in das Proletariat hineinreichen. Über diese wesentlichen Unterschiede müssen wir uns klar sein, wenn wir mit dem Faschismus fertig werden wollen. Wir werden ihn nicht auf militärischem Wege allein überwinden – um diesen Ausdruck zu gebrauchen –, wir müssen ihn auch politisch und ideologisch niederringen.

    Obgleich die Auffassung, daß der Faschismus bloßer bürgerlicher Terror sei, auch von radikalen Elementen unserer Bewegung vertreten wird, berührt sie sich zum Teil mit der Auffassung der reformistischen Sozialdemokraten. Für sie ist der Faschismus nichts als Terror, Gewalt, und zwar bourgeoiser Reflex der Gewalt, die von seiten des Proletariats gegen die bürgerliche Gesellschaft ausgegangen ist oder die ihr angedroht wird. Für die Herren Reformisten spielt die russische Revolution dieselbe Rolle wie für die Bibelgläubigen der Apfelbiß im Paradies. Sie ist der Ausgangspunkt aller terroristischer Erscheinungen der Gegenwart. Als ob kein imperialistischer Raubkrieg gewesen wäre und keine Klassendiktatur der Bourgeoisie existierte! So ist auch der Faschismus für die Reformisten die Auswirkung des revolutionären Sündenfalls des russischen Proletariats. Es war kein Geringerer als Otto Bauer, der in Hamburg die Auffassung vertreten hat, daß die russischen Kommunisten und ihre Gesinnungsgenossen eine ganz besondere Verantwortung für die gegenwärtige Weltreaktion der Bourgeoisie und den Faschismus tragen. Sie haben zur Spaltung der Parteien und Gewerkschaften getrieben. Otto Bauer vergaß bei dieser kühnen Behauptung, daß die höchst harmlosen Unabhängigen sich noch vor der russischen Revolution und ihrem „sittenverderbenden“ Beispiel von den Sozialdemokraten abgespalten haben. Er erklärte weiter, an der Weltreaktion, die im Faschismus gipfelt, sei auch schuld, daß die russische Revolution das menschewistische Paradies in Georgien und Armenien zerstört habe. Als dritte Ursache der Weltreaktion sah er den „bolschewistischen Terror“ überhaupt an.

    In seinen Ausführungen mußte er allerdings dieses anerkennen: „In Mitteleuropa sind wir heute gezwungen, den Gewaltorganisationen des Faschismus Abwehrorganisationen des Proletariats gegenüberzustellen. Denn kein Appell an die Demokratie kann gegen die direkte Gewalt ausreichen.“ [1]

    Man sollte meinen, daß man aus dieser Feststellung die Schlußfolgerung ziehen müßte: Also antworten wir mit Gewalt auf Gewalt. Eine reformistische Logik geht aber ihre eigenen Wege, unerforschlich wie die Wege der himmlischen Vorsehung. Otto Bauer spinnt seinen Gedanken später so fort: „Ich spreche hier nicht von allzu großen Dingen, die nicht immer und nicht überall durchgeführt werden können ..., nicht von Insurrektionen, nicht einmal vom Generalstreik ... Die Kooperation der parlamentarischen Aktionen und der Massenaktionen außerhalb des Parlaments bietet aussichtsreiche Möglichkeiten.“ [2]

    Herr Otto Bauer offenbart uns dabei nicht das Geheimnis seines keuschen politischen Busens, welcher Art die politischen Aktionen im Parlament und erst recht außerhalb des Parlaments sein sollen. Es gibt Aktionen und Aktionen. Es gibt parlamentarische Aktionen und Massenaktionen, die von unserem Standpunkte aus bürgerlicher Dreck sind – erlauben Sie diesen Ausdruck. Andererseits kann eine Aktion innerhalb oder außerhalb des Parlaments einen revolutionären Charakter tragen. Otto Bauer hat sich über den Charakter der reformistischen Aktionen ausgeschwiegen. Und so ist das Ergebnis seiner Ausführungen über den Kampf gegen die Weltreaktion ein sehr eigenartiges. Es entpuppt sich als ein internationales Informationsbüro, das über die Weltreaktion genau berichtet. Bauer erklärte, der Kongreß werde vielfach mit Skepsis betrachtet. Falls es nicht verstanden werde, ein Nachrichtenbüro zu errichten zur Versorgung mit dem nötigen Material über die Reaktion, so wäre diese Skepsis gerechtfertigt.

    Was steckt hinter der ganzen Auffassung? Der reformistische Glaube an die Stärke, die Unerschütterlichkeit der kapitalistischen Ordnung, der bürgerlichen Klassenherrschaft und das Mißtrauen, der Kleinmut gegenüber dem Proletariat als bewußtem, unwiderstehlichem Faktor der Weltrevolution.

    Die Reformisten sehen im Faschismus den Ausdruck der Unerschütterlichkeit, der alles übertreffenden Kraft und Stärke der bourgeoisen Klassenherrschaft, der das Proletariat nicht gewachsen ist, gegen die den Kampf aufzunehmen vermessen und vergeblich ist. Es bleibt ihm so nichts anderes übrig, als still und bescheiden zur Seite zu treten, den Tiger oder Löwen der bürgerlichen Klassenherrschaft ja nicht durch den Kampf für seine Befreiung, für seine Diktatur zu reizen, kurz, auf Gegenwart und Zukunft zu verzichten und geduldig abzuwarten, ob man auf dem Wege der Demokratie und Reform ein weniges vorwärtskommen könne.

    Ich bin entgegengesetzter Ansicht und alle Kommunisten wohl mit mir. Nämlich, daß der Faschismus, mag er sich noch so kraftmeierisch gebärden, ein Ausfluß der Zerrüttung und des Zerfalls der kapitalistischen Wirtschaft und ein Symptom der Auflösung des bürgerlichen Staates ist. Nur wenn wir verstehen, daß der Faschismus eine zündende, mitreißende Wirkung auf breite soziale Massen ausübt, die die frühere Existenzsicherheit und damit häufig den Glauben an die Ordnung von heute schon verloren haben, werden wir ihn bekämpfen können. Die eine Wurzel des Faschismus ist in der Tat die Auflösung der kapitalistischen Wirtschaft und des bürgerlichen Staates. Wir finden schon Symptome für die Proletarisierung bürgerlicher Schichten durch den Kapitalismus in der Vorkriegszeit. Der Krieg hat die kapitalistische Wirtschaft in ihren Tiefen zerrüttet. Das zeigt sich nicht nur in der ungeheuerlichen Verelendung des Proletariats, sondern ebensosehr in der Proletarisierung breitester klein- und mittelbürgerlicher Massen, in dem Notstand des Kleinbauerntums und in dem grauen Elend der Intelligenz. Die Notlage der Intellektuellen ist um so größer, als in der Vorkriegszeit der Kapitalismus sich angelegen sein ließ, davon eine Überproduktion herbeizuführen. Die Kapitalisten schufen auch auf dem Gebiete der Kopfarbeit ein Massenangebot von Arbeitskräften, um damit Schmutzkonkurrenz zu entfesseln und die Löhne, pardon Gehälter, zu drücken. Gerade aus diesen Kreisen rekrutierten der Imperialismus und der imperialistische Weltkrieg viele ihrer ideologischen Vorkämpfer. Augenblicklich erleben all diese Schichten den Bankrott ihrer Hoffnungen auf den Krieg. Ihre Lage hat sich außerordentlich verschlechtert. Schlimmer als alles lastet auf ihnen das Fehlen der Existenzsicherheit, die sie in der Vorkriegszeit noch hatten.

    Ich komme zu dieser Auffassung nicht auf Grund der Verhältnisse in Deutschland, wo sich zumal die bürgerlichen Intellektuellen in einem Notstande befinden, der nicht selten größer ist als das Elend der Arbeiter. Nein, gehen Sie nach Italien! Ich werde darauf noch zu sprechen kommen, daß die Zerrüttung der Wirtschaft auch dort maßgebend dafür gewesen ist, daß sich soziale Massen dem Faschismus angeschlossen haben.

    Betrachten wir ein anderes Land, das im Verhältnis zu anderen europäischen Staaten aus dem Weltkriege nicht stark erschüttert hervorgegangen ist: England. In England ist heute in der Presse und im öffentlichen Leben ebensoviel von dem Elend der vielen „neuen Armen“ die Rede wie von dem riesigen Luxus und Gewinn der wenigen „neuen Reichen“. In Amerika kündet die Farmerbewegung die steigende Notlage einer großen sozialen Schicht. In allen Ländern hat sich die Lage der Mittelschichten erheblich verschlechtert. Die Verschlechterung geht in manchen Staaten bis zur Zerreibung, zur Vernichtung dieser sozialen Schichten. In der Folge sind Tausende und Tausende vorhanden, die nach neuen Lebensmöglichkeiten, nach gesichertem Brot, nach sozialer Stellung suchen. Ihre Zahl vermehrt sich durch kleine und mittlere Beamte des Staates, der öffentlichen Dienste. Zu ihnen gesellen sich – auch in den Siegerstaaten – Offiziere, Unteroffiziere usw., die berufslos und erwerbslos geworden sind. Soziale Elemente dieser Art stellen dem Faschismus ebenfalls ein stattliches Kontingent, ein Kontingent, das besonders dafür ausschlaggebend ist, daß dieser in manchen Ländern einen ausgesprochen monarchistischen Charakter trägt. Aber wir würden das Wesen des Faschismus nicht voll erfassen, wenn wir seine Entwicklung lediglich aus dieser einen Ursache heraus betrachteten, die durch die Finanzsituation der Staaten und ihre schwindende Autorität nicht wenig verstärkt wird.

    Der Faschismus hat noch eine andere Wurzel: Es ist das Stocken, der schleppende Gang der Weltrevolution infolge des Verrates der reformistischen Führer der Arbeiterbewegung. Ein großer Teil der proletarisierten oder von der Proletarisierung bedrohten klein- und mittelbürgerlichen Schichten, der Beamten, bürgerlichen Intellektuellen hatte die Kriegspsychologie durch eine gewisse Sympathie für den reformistischen Sozialismus ersetzt. Sie erhofften vom reformistischen Sozialismus dank der „Demokratie“ eine Weltwende. Diese Erwartungen sind bitter enttäuscht worden. Die Reformsozialisten treiben eine sanfte Koalitionspolitik, deren Kosten zusammen mit den Proletariern und Angestellten die Beamten, Intellektuellen, Klein- und Mittelbürger jeder Art zahlen. Diese Schichten entbehren im allgemeinen der theoretischen, geschichtlichen, politischen Schulung. Ihre Sympathie für den Reformsozialismus war nicht tief verwurzelt. So kam es, daß sie nicht bloß den Glauben an die reformistischen Führer verloren, sondern an den Sozialismus selbst. „Uns ist von den Sozialisten versprochen worden eine Erleichterung unserer Lasten und Leiden, allerhand Schönes, eine Neugestaltung der Gesellschaft nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit, der Demokratie“, so erklärten sie. „Aber die ganz Großen und Reichen wirtschaften und herrschen noch härter weiter als bisher.“ Zu den vom Sozialismus enttäuschten Bürgerlichen stoßen auch proletarische Elemente. Und alle diese Enttäuschten – mögen sie bürgerlicher oder proletarischer Herkunft sein – gehen noch einer wertvollen seelischen Kraft verlustig, die hoffnungsfreudig aus der düsteren Gegenwart in eine lichte Zukunft blicken läßt. Es ist das Vertrauen auf das Proletariat als die gesellschaftsumwälzende Klasse. Daß die reformistischen Führer es verraten, wiegt für die Einstellung der enttäuschten Elemente nicht so schwer wie die andere Tatsache, nämlich, daß die proletarischen Massen den Verrat dulden, daß sie das kapitalistische Joch ohne Auflehnung kampflos weitertragen, ja, sich mit härterer Pein abfinden als zuvor.

    Übrigens, um gerecht zu sein, muß ich hinzufügen, daß auch die kommunistischen Parteien – wenn ich von Rußland absehe – nicht ohne Schuld daran sind, daß es im Proletariat Enttäuschte gibt, die sich dem Faschismus in die Arme werfen. Ihre Aktionen sind oft genug nicht kraftvoll genug gewesen, ihre Aktivität nicht ausreichend, und sie erfaßten nicht tief, nicht stark genug die Massen. Ich sehe von Fehlern der Taktik ab, die Niederlagen brachten. Kein Zweifel, daß gerade manche der aktivsten, energischsten revolutionär gesinnten Proletarier nicht den Weg zu uns gefunden haben oder auf diesem Wege umgekehrt sind, weil wir ihrer Empfindung nach nicht tatkräftig, nicht aggressiv genug aufgetreten sind und weil wir nicht verstanden haben, ihnen genügend klar zum Bewußtsein zu bringen, weshalb wir unter Umständen auch eine gerechtfertigte unfreiwillige Zurückhaltung üben mußten.

    Tausendköpfige Massen strömten dem Faschismus zu. Er wurde ein Asyl für politisch Obdachlose, für sozial Entwurzelte, für Existenzlose und Enttäuschte. Und was sie alle nicht erhofften von der revolutionären Klasse des Proletariats und vom Sozialismus, das erhoffen sie als Werk der tüchtigsten, stärksten, entschlossensten, kühnsten Elemente“ aller Klassen, die zu einer Gemeinschaft zusammengefaßt werden müssen. Diese Gemeinschaft ist für die Faschisten die Nation. Sie wähnen, daß der ernste Wille, sozial ein Neues, Besseres zu schaffen, machtvoll genug sei, alle Klassengegensätze zu überbrücken, Das Mittel für die Verwirklichung des faschistischen Ideals ist ihnen der Staat. Ein starker, ein autoritärer Staat, der gleichzeitig ihr ureigenstes Geschöpf und ihr williges Werkzeug sein soll.

    Hoch über allen Parteiunterschieden und Klassengegensätzen wird er thronen und die soziale Welt nach ihrer Ideologie, ihrem Programm gestalten.

    Es liegt auf der Hand, daß nach der sozialen Zusammensetzung seiner Truppen der Faschismus auch Elemente einschließt, die der bürgerlichen Gesellschaft außerordentlich unbequem, ja gefährlich werden können. Ich gehe weiter, ich behaupte, die der bürgerlichen Gesellschaft gefährlich werden müssen, wenn sie ihr ureigenes Interesse verstehen. In der Tat! Ist dies der Fall, so müssen sie das ihrige dazu beitragen, daß die bürgerliche Gesellschaft so bald als möglich zerschmettert und der Kommunismus verwirklicht wird. Aber die Tatsachen haben trotzdem bis jetzt bewiesen, daß die revolutionären Elemente im Faschismus von den reaktionären Elementen überflügelt und gefesselt worden sind. Es wiederholt sich eine analoge Erscheinung zu anderen Revolutionen. Die kleinbürgerlichen und mittleren Schichten der Gesellschaft schwanken zuerst zwischen den gewaltigen historischen Heerlagern des Proletariats und der Bourgeoisie unschlüssig hin und her. Die Nöte ihres Lebens, zum Teil auch die beste Sehnsucht, die höchsten Ideale ihrer Seele lassen sie mit dem Proletariat sympathisieren, solange dieses nicht nur revolutionär vorgeht, sondern Aussichten auf den Sieg zu haben scheint. Gezwungen von den Massen und ihren Bedürfnissen, müssen unter dem Einflusse dieser Situation sogar die faschistischen Führer mit dem revolutionären Proletariat wenigstens kokettieren – wenn sie auch innerlich nicht mit ihm sympathisieren. Aber sobald sich zeigt, daß das Proletariat selbst darauf verzichtet, die Revolution weiterzuführen, daß es unter dem Einfluß der reformistischen Führer revolutionsscheu und kapitalistenfromm vom Kampfplatz zurücktritt, haben sich die breiten Massen der Faschisten dahin geschlagen, wo die meisten ihrer Führer von Anfang an – bewußt oder unbewußt – standen: auf die Seite der Bourgeoisie.

    Die Bourgeoisie begrüßt selbstverständlich die neuen Bundesgenossen mit Freude. Sie erblickt in ihnen einen starken Machtzuwachs, einen in ihrem Dienste zu allem entschlossenen Gewalthaufen. Die herrschgewohnte Bourgeoisie ist leider in der Beurteilung der Lage und in der Verfechtung ihrer Klasseninteressen bei weitem klüger und erfahrener als das jochgewohnte Proletariat. Sie hat von Anfang an die Situation sehr klar erfaßt und damit den Vorteil, den sie aus dem Faschismus zu ziehen vermag. Was will die Bourgeoisie? Sie erstrebt den Wiederaufbau der kapitalistischen Wirtschaft, das heißt die Erhaltung ihrer Klassenherrschaft. Unter den gegebenen Umständen hat die Verwirklichung ihres Zieles eine erhebliche Steigerung und Verschärfung der Ausbeutung und Unterdrückung des Proletariats zur Voraussetzung. Die Bourgeoisie weiß sehr wohl, daß sie allein nicht über die Machtmittel verfügt, um den Ausgebeuteten solches Los aufzuzwingen. Mit den Skorpionen des hereinbrechenden Elends gezüchtigt, fangen zuletzt auch die dickfelligsten Proletarier an, gegen den Kapitalismus zu rebellieren. Die Bourgeoisie muß sich sagen, daß unter diesen Verhältnissen auf die Dauer auch die milde, burgfriedliche Predigt der Reformsozialisten ihre einschläfernde Wirkung auf das Proletariat verlieren wird. Sie rechnet damit, daß sie das Proletariat nur noch mit Hilfe von Gewaltmitteln unterwerfen und ausbeuten kann. Aber die Machtmittel des bürgerlichen Staates beginnen teilweise zu versagen. Er büßt immer mehr die Finanzkraft und die moralische Autorität ein, seine spezifischen Sklaven in blinder Treue und Unterwürfigkeit zu binden. Die Bourgeoisie kann die Sicherheit ihrer Klassenherrschaft nicht mehr von den regulären Machtmitteln ihres Staates allein erwarten. Sie braucht dafür eine außerlegale, außerstaatliche Machtorganisation. Eine solche wird ihr gestellt durch den bunt zusammengewürfelten Gewalthaufen des Faschismus. Deshalb nimmt die Bourgeoisie nicht nur mit Kußhand die Dienste des Faschismus an und gewährt ihm weiteste Bewegungsfreiheit im Gegensatz zu all ihren geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen. Sie geht weiter, sie nährt und erhält ihn und fördert seine Entwicklung mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln des Geldschranks und der politischen Macht.

    Es liegt auf der Hand, daß der Faschismus in den einzelnen Ländern verschiedene Charakterzüge trägt, je nach den vorliegenden konkreten Verhältnissen. Jedoch zwei Wesenszüge sind ihm in allen Ländern eigen: ein scheinrevolutionäres Programm, das außerordentlich geschickt an die Stimmungen, Interessen und Forderungen breitester sozialer Massen anknüpft, dazu die Anwendung des brutalsten, gewalttätigsten Terrors.

    Das klassische Beispiel für die Entwicklung und das Wesen des Faschismus ist bis heute Italien. In Italien hat der Faschismus seinen Nährboden gefunden in der Zersetzung und Schwäche der Wirtschaft. Das scheint nicht zutreffend, weil ja Italien zu den Siegerstaaten gehört. Nichtsdestoweniger hatte der Krieg auch Italiens Wirtschaft aufs schwerste getroffen. Die Bourgeoisie war als Siegerin, jedoch geschlagen, aus ihm zurückgekehrt. Dafür war die wirtschaftliche Struktur und Entwicklung des Landes bestimmend. Nur in Norditalien war ein moderner Industriekapitalismus emporgekommen. In Mittelitalien und erst recht in Süditalien herrschte das Agrarkapital zum Teil noch unter feudalen Verhältnissen, mit ihm verbündet ein Finanzkapitalismus, der nicht die Höhe moderner Entfaltung und Bedeutung erklommen hatte. Beide waren nicht imperialistisch eingestellt, waten kriegsfeindlich und hatten von dem Völkermorden nichts oder nur wenig profitiert. Die nichtkapitalistische Bauernschaft hatte unter ihm furchtbar gelitten und mit ihr das städtische Kleinbürgertum und Proletariat. Wohl haben die Kapitalisten der norditalienischen künstlich aufgepäppelten Schwerindustrie fabelhafte Profite eingesäckelt. Da jedoch diese Industrie nicht bodenständig war – Italien hat weder Kohle noch Erz –, so welkte ihre Blüte bald dahin.

    Alle schlimmen Auswirkungen des Krieges brachen über Italiens Wirtschaft und Staatsfinanzen herein. Eine furchtbare Krise entwickelte sich. Industrie, Handwerk und Handel stockten, Bankrott folgte auf Bankrott, die „Banca di Sconto“ und die „Ansaldowerke“ – Schöpfungen des Imperialismus und des Krieges – krachten zusammen. Der Krieg hinterließ Hunderttausende Beschäftigung- und Brotsuchender, Hunderttausende versorgungsbedürftiger Krüppel, Witwen und Waisen. Die Krise vermehrte das Heer der Arbeit und Posten heischenden Heimkehrer durch Scharen von entlassenen Arbeitern, Arbeiterinnen und Angestellten. Eine riesige Elendswelle flutete über Italien und erreichte in der Zeit vom Sommer 1920 bis zum Frühjahr 1921 ihren Höhepunkt. Die norditalienische Industriebourgeoisie – die gewissenloseste Kriegshetzerin – war außerstande, die ruinierte Wirtschaft aufzurichten; sie verfügte nicht über die politische Macht, den Staat für ihre Zwecke zu mobilisieren. Die Regierung war aus ihrer Hand wieder an die Agrar- und Finanzkapitalisten unter Giolittis Führung zurückgefallen. Allein, auch wenn dem nicht so gewesen wäre, würde der in allen Fugen krachende Staat nicht über die Mittel und Möglichkeiten verfügt haben, Krise und Elend zu beschwören.

    Dank dieser Situation und Schritt für Schritt mit ihr konnte der Faschismus in die Halme schießen. In der Person Mussolinis wartete der prädestinierte Führer auf ihn. Mussolini war im Herbst 1914 Renegat des pazifistischen Sozialismus und mit der Losung: „Krieg oder Republik“ fanatischster Kriegstreiber geworden. In einem mit Ententegeld gegründeten Tageblatt, Popolo d’Italia, hatte er dem schaffenden Volk als Frucht des Krieges das Himmelreich auf Erden versprochen. Mit der industriellen Bourgeoisie zusammen war er durch das Blutmeer des Weltkrieges gewatet, mit ihr zusammen wollte er Italien zu einem modernen Kapitalistenstaat gestalten. Mussolini mußte Massen zu sammeln suchen, um handelnd, aktiv in die Situation einzugreifen, die seinen Prophezeiungen ins Gesicht schlug, die seinem Ziel widersprach. Nach dem Kriege, 1919, gründete er in Mailand den ersten „fascio di combattimento“, Verein von Frontkämpfern, mit dem Programm, die Existenz, das Auf- blühen der Nation zu sichern, den „Helden der Schützengräben und den Werktätigen die revolutionären Früchte des revolutionären Krieges zu sichern“. In einigen Städten entstanden Fasci. Die junge Bewegung führte von Anfang an einen erbitterten Kampf gegen die revolutionären Arbeiterorganisationen, weil diese nach Mussolinis Behauptung durch die Vertretung des Klassenkampfstandpunktes „die Nation spalteten und schwächten“. Der Faschismus kehrte seine Speere auch gegen die Regierung Giolitti, die er mit der ganzen Verantwortung für das schwarze Elend der Nachkriegszeit belud. Seine Entwicklung war zunächst langsam und schwach. Noch stemmte sich ihm das Vertrauen breiter Volksmassen zum Sozialismus entgegen. Im Mai 1920 gab es in ganz Italien erst gegen 100 Fasci, von denen kein Verein mehr als 20 bis 30 Mitglieder zählte.

    Bald konnte der Faschismus aus einer zweiten Hauptwurzel Nahrung und Kraft saugen. Die objektiv revolutionäre Lage ließ im italienischen Proletariat eine revolutionäre Stimmung entstehen. Das glorreiche Beispiel der russischen Arbeiter und Bauern war von starkem Einfluß darauf. Im Sommer 1920 kam es zur Fabrikbesetzung durch die Metallarbeiter. Hier und da, bis nach Süditalien, besetzten landwirtschaftliche Proletarier, Kleinbauern und Kleinpächter Güter oder lehnten sich in anderer Form gegen die großen Agrarier auf. Aber die große geschichtliche Stunde fand in den Arbeiterführern ein kleines Geschlecht. Die reformistischen Führer der Sozialistischen Partei schreckten revolutionsfeig davor zurück, die Fabrikbesetzung zum politischen Machtkampf auszuweiten. Sie drängten den Kampf der Arbeiter in das enge Bett einer nichts als wirtschaftlichen Bewegung, deren Führung Sache der Gewerkschaften sei, und verrieten in Seelenharmonie mit d’Aragona und anderen Autoritäten des Allgemeinen Gewerkschaftsverbandes die rebellierenden Lohnsklaven in einem schmählichen Kompromiß mit den Unternehmern, das unter hervorragender Mitwirkung der Regierung, insbesondere Giolittis, zustande kam. Die Führer des linken Flügels der Sozialistischen Partei – aus dem sich später die Kommunistische Partei herauskristallisierte – waren politisch noch zuwenig erfahren und geschult, um die Situation gedanklich und praktisch zu meistern und den Dingen eine andere Wendung zu geben. Gleichzeitig erwies sich die Unfähigkeit der proletarischen Massen, über die Führer hinauszugehen und sie vorwärtszutreiben in der Richtung der Revolution.

    Die Fabrikbesetzung endete mit einer schweren Niederlage des Proletariats, die Entmutigung, Zweifel, Kleinmütigkeit in dessen Reihen trug. Tausende Arbeiter kehrten den Partei- und Gewerkschaftsorganisationen den Rücken. Viele von ihnen sanken in Gleichgültigkeit und Stumpfsinn zurück, andere schlossen sich bürgerlichen Vereinigungen an. Der Faschismus gewann unter den Enttäuschten eine wachsende Anhängerschaft wie auch unter dem Kleinbürgertum der Städte und der bürgerlichen Bevölkerung. Er hatte ideologisch und politisch über die reformistisch verseuchte Arbeiterschaft gesiegt. Im Februar 1921 zählte man rund 1.000 Fasci. Der Faschismus gewann Massen durch scheinrevolutionäre Forderungen, die er in einer skrupellos demagogischen Agitation verfocht. Sein geschwollener Wortradikalismus wendete sich vor allem gegen die Regierung Giolittis, des „Verräters der Nation“. Gegen den zweiten „Feind“, die internationalen „vaterlandsfeindlichen“ Arbeiterorganisationen, zog der Faschismus dagegen mit Feuer und Schwert zu Felde. Mussolini forderte – seiner republikanischen, antimonarchistischen und imperialistischen Einstellung gemäß – die Absetzung der Dynastie und die Enthauptung Giolittis im buchstäblichen Sinne. Seine Gefolgschaft begann, die „antinationalen“, das heißt die klassenbewußten Arbeiterorganisationen mit aktivem, blutigem Terror zu „züchtigen“. Im Frühjahr 1921 erfolgten die ersten faschistischen „Strafexpeditionen“. Sie trafen die Landproletarier, deren Organisationssitze verwüstet und verbrannt, deren Führer ermordet wurden. Erst später dehnte sich der faschistische Terror auch auf die Proletarier der großen Städte aus. Die Staatsgewalten ließen gewähren und geschehen, ohne Rücksicht auf Recht und Gesetz. Die Bourgeoisie, ob industriell oder agrarisch, begönnerte offen den terroristischen Faschismus und unterstützte ihn mit Geld und anderen Mitteln. Trotz der Niederlage der Arbeiter bei der Fabrikbesetzung fürchtete sie die künftige Machterstarkung des Proletariats. Bei den Gemeinderatswahlen hatten die Sozialisten ungefähr ein Drittel der 8.000 Kommunalverwaltungen erobert. Es galt, vorzubeugen.

    Gewiß! Die Regierung hätte damals Gründe und Machtmittel gehabt, um den Faschismus, der ihr bedrohlich auf den Leib zu rücken schien, mit Gewalt niederzuschlagen. Aber das wäre in der obwaltenden Lage auf eine Stärkung der Arbeiterbewegung hinausgelaufen. Lieber Faschisten als Sozialisten, Revolutionäre, dachte Giolitti. Der alte, schlaue Fuchs löste die Kammer auf und schrieb für Mai 1921 Neuwahlen aus. Er gründete einen „Ordnungsblock“ aller bürgerlichen Parteien und nahm die faschistischen Organisationen in diesen auf. Dem Faschismus gingen während der Wahlkampagne die wilden, republikanischen Locken aus. Die antidynastische und antimonarchistische Agitation verstummte in dem Maße, wie sieh ihm agrarische Führer und agrarische Massen anschlossen. Ihnen waren zum großen Teil die faschistischen Wahlerfolge zu danken wie die Ausdehnung und das Erstarken der Fasci, deren Zahl bis zum Mai 1921 auf rund 2.000 stieg.

    Mussolini empfand unstreitig die Gefahr, die für ihn und seine Ziele in der Überflutung des Faschismus mit agrarischen Elementen lag. Er erkannte, daß mit dem Aufhören der scheinrevolutionären, antimonarchistischen Agitation ein großer Anreiz für breite Massen verlorenging, sich dem Faschismus anzuschließen. Als die Wahlschlacht vorüber war, wollte er zu seinen Losungen von 1919 zurückkehren. In einem Interview mit dem Vertreter der Zeitung Giornale d’Italia – sie vertritt schwerindustrielle Tendenzen – erklärte er, die gewählten Faschisten würden der Eröffnung der Kammer nicht beiwohnen, denn es sei für sie unmöglich, nach der Thronrede zu rufen: „Es lebe der König!“ Die Veröffentlichung hatte die Wirkung, die Stärke des agrarischen Flügels im Faschismus zu zeigen. Einige mit Unterstützung der Fasci gewählte Abgeordnete traten den Monarchisten und Nationalisten bei. Eine Sitzung der faschistischen Abgeordneten zusammen mit den Bezirksdelegierten der Fasci sollte Stellung zu der Streitfrage nehmen. Mussolini unterlag mit seiner Forderung. Er zügelte seinen Republikanismus mit der Erklärung, wegen dieser Frage den Faschismus nicht spalten zu wollen. Seine Niederlage gab ihm den Anlaß, auf die Konstituierung des Faschismus als einer organisierten zentralisierten Partei hinzuwirken, während dieser bis dahin eine lose Bewegung gewesen war. Die Umwandlung erfolgte auf dem ersten faschistischen Kongreß im November 1921. Hatte Mussolini in der Sache gesiegt, so unter- lag er bei der Wahl der Parteileitung. Er bekam diese nicht ganz in seine Hand. Sie wurde nur zur Hälfte mit seinen persönlichen Anhängern besetzt, zur anderen Hälfte aber mit monarchistisch gesinnten Agrariern. Dieser Umstand hat seine Bedeutung. Er deutet auf jenen Gegensatz hin, der bis heute in wachsendem Maße im Faschismus besteht und zu seiner Zersetzung beitragen wird. Es ist der Gegensatz zwischen Agrar- und Industriekapital, politisch ausgedrückt: zwischen Monarchisten und Republikanern. Die Partei soll jetzt 500.000 Mitglieder zählen.

    Die Konstituierung des Faschismus als Partei genügte allein nicht, um ihm die Kraft zu verleihen, der Arbeiterklasse Herr zu werden, sie in wüsterer Fron als vorher zum Wiederaufbau und zur Fortentwicklung der kapitalistischen Wirtschaft zu zwingen. Zu diesem Zwecke bedurfte er eines zwiefachen Apparates. Eines Apparates zur Korrumpierung der Arbeiter und eines Apparates zu ihrer Niederwerfung mit bewaffneter Macht, mit terroristischen Mitteln. Der Apparat zur Korrumpierung der Arbeiterbewegung wurde geschaffen durch die Gründung der faschistischen Gewerkschaften, „nationale Korporationen“ genannt. Sie sollten planmäßig durchführen, was der Faschismus von Anfang an getan hatte: die revolutionäre Arbeiterbewegung, ja jede selbständige, eigene Arbeiterbewegung bekämpfen. Mussolini wehrt sich stets gegen die Anklage, daß er den Kampf gegen die Arbeiterklasse führt. Er versichert immer wieder und wieder, daß er die Arbeiterklasse materiell und kulturell heben und nicht zurückführen wolle „in die qualvollen Bedingungen einer sklavenhaften Existenz“. Aber all das im Rahmen der „Nation“ und, untergeordnet unter ihre Interessen, in schärfster Ablehnung des Klassenkampfes. Die faschistischen Gewerkschaften wurden zu dem ausgesprochenen Zweck gegründet, als Gegengift nicht nur gegen die revolutionären Organisationen des Proletariats zu wirken, sondern gegen jede Klassenorganisation der Proletarier überhaupt. Jede proletarische Klassenorganisation ist Mussolini und seinen Trabanten von vornherein verdächtig, eine revolutionäre Organisation zu sein. Er schuf sich seine eigenen Gewerkschaftsorganisationen. Sie vereinigen die Arbeiter, Angestellten und Unternehmer eines Berufes, einer Industrie. Die organisierten Unternehmer haben zum Teil abgelehnt, den Gewerkschaften Mussolinis beizutreten. So der Landwirtschaftsverband und der Verband der Industriellen. Sie sind jedoch ob ihrer Ketzerei von keiner faschistischen Strafexpedition zur Rechenschaft gezogen worden. Die faschistischen Strafexpeditionen erfolgen nur, wenn es sich um Proletarier handelt, die vielleicht nicht einmal in der revolutionären Bewegung stehen, aber doch kämpfen, wie ihr Klasseninteresse gebeut. Zehntausende von Arbeitern sind so gezwungen, den faschistischen Gewerkschaften beizutreten, die gegen eine Million Mitglieder umschließen sollen.

    Das faschistische Organ zur terroristischen Niederwerfung der Arbeiterklasse in Italien sind die sogenannten Geschwader. Es sind dies militärische Organisationen, die sich aus den agrarischen Strafexpeditionen heraus entwickelt haben. Die Trupps von „Strafvollziehenden“, die sich gelegentlich frei zusammenfanden, wurden zu ständigen „Organisationen“ von Unterhaltenen und Söldnern, die berufsmäßig den Terror ausüben. Die „Geschwader“ sind im Laufe der Zeit zu einer rein militärischen Macht geworden, die den Staatsstreich durchführte und auf die Mussolini als Diktator sich stützt. Nach der Machtergreifung und der Aufrichtung des faschistischen Staates wurden sie als „nationale Landesmiliz“, als Organ des bürgerlichen Staates legalisiert. Sie stehen, wie offiziell erklärt wurde, „im Dienste Gottes, der Nation und des Ministerpräsidenten“ – man beachte: nicht des Königs. Ihre Stärke wird sehr verschieden angegeben. Im Augenblick des Staatsstreiches zwischen 100.000 und 300.000 Mann, jetzt mit einer halben Million.

    Wie an der Wiege des Faschismus das Versagen, der Verrat der reformistischen Führer standen, so steht auch vor der Eroberung der Staatsgewalt durch den Faschismus ein neuer Verrat der Reformisten und damit eine neue Niederlage des italienischen Proletariats. Am 31. Juli fand eine geheime Sitzung der italienischen reformistischen Arbeiterführer statt – der gewerkschaftlichen wie der politischen, d’Aragona war dabei wie Turati –, die beschloß, durch den Allgemeinen Gewerkschaftsverband am 1. August den Generalstreik proklamieren zu lassen; einen Generalstreik, der nicht vorbereitet und nicht organisiert war. Wie die Dinge lagen, mußte er natürlich mit einer furchtbaren Niederlage des Proletariats enden. In manchen Orten setzte der Streik erst ein, als er in anderen bereits zusammengebrochen war. Es war dies eine Niederlage, ebenso groß, ebenso verhängnisvoll wie die bei der Fabrikbesetzung. Sie ermutigte die Faschisten zum Staatsstreich und entmutigte und demoralisierte die Arbeiter, so daß sie auf jeden Widerstand verzichteten, passiv, hoffnungslos alles geschehen ließen. Besiegelt wurde der Verrat der reformistischen Führer nach dem Staatsstreiche dadurch, daß Baldesi, einer der einflußreichsten Führer des italienischen Gewerkschaftsbundes und der Sozialistischen Partei, sich im Auftrage Mussolinis bereit erklärte, in die faschistische Regierung einzutreten. Der schändliche Pakt scheiterte – welche Schmach! – nicht am reformistischen Widerspruch und Protest, vielmehr am Widerstand der faschistischen Agrarier.

    Genossinnen und Genossen! Sie erkennen an diesem kurzen Überblick die Zusammenhänge, die in Italien bestehen zwischen der Entwicklung des Faschismus und der wirtschaftlichen Zerrüttung des Landes, die breite verelendete und verblendete Massen schuf; zwischen der Entwicklung des Faschismus und dem Verrat der reformistischen Führer, der die Proletarier auf den Kampf verzichten ließ. Auch die Schwäche der Kommunistischen Partei ist nicht ohne Einfluß darauf geblieben. Abgesehen von ihrer numerischen Schwäche hat sie wohl auch einen taktischen Fehler begangen, indem sie den Faschismus lediglich als eine militärische Erscheinung betrachtete und seine ideologische und politische Seite übersah. Vergessen wir nicht; daß der Faschismus in Italien, ehe er durch Akte des Terrors das Proletariat niederschlug, einen ideologischen und politischen Sieg über die Arbeiterbewegung errungen hatte und welches die Ursachen dieses Sieges waren. Es wäre sehr gefährlich, wenn wir außer acht lassen wollten, von welcher Bedeutung gerade die ideologische und politische Überwindung des Faschismus ist.

    Es liegt auf der Hand, daß der Faschismus organisatorisch und seiner äußeren Machtstellung nach nur die hier kurz skizzierte Entwicklung nehmen konnte, weil er ein Programm hatte, das von großer Anziehungskraft auf breite Massen war. Die Frage steht vor uns – und sie ist wichtig für die Proletarier aller Länder –: Was hat der Faschismus in Italien nach der Eroberung der Staatsmacht getan, um sein Programm zu verwirklichen? Welches ist der Staat, der sein Werkzeug sein soll? Hat er sich erwiesen als der verheißende partei- und klassenlose Staat, der jeder Schicht der Gesellschaft ihr Recht werden läßt, oder hat auch er sich erwiesen als ein Organ der besitzenden Minderheit und insbesondere der industriellen Bourgeoisie? Das zeigt sich am besten, wenn wir die wichtigsten Forderungen des faschistischen Programms und ihre Erfüllung einander gegenüberstellen.

    Was hatte der Faschismus politisch versprochen, als er mit wild wehendem Lockenhaar wie Simson einherstürmte?

    Eine Reform des Wahlrechts, ein konsequent durchgeführtes Proportionalwahlrecht. Was sehen wir? Das alte, unvollkommene Proportionalwahlrecht, das 1919 eingeführt wurde, soll abgeschafft und durch ein Wahlrecht ersetzt werden, das ein Spott, das blutiger Hohn auf die Idee des Proporzes ist. Die Partei, die absolut die meisten Wählerstimmen erhält, soll zwei Drittel aller Sitze In der Kammer erhalten. Es ist erst darüber gestritten worden, ob es Zwei Drittel oder gar drei Viertel der Mandate sein sollten. Nach den letzten Zeitungsnachrichten will sich der Faschismus damit begnügen, daß die stärkste Partei – das ist die faschistische – zwei Drittel erhält, das bleibende Drittel soll proportional auf die verschiedenen anderen Parteien verteilt werden. Eine nette Reform des Wahlrechtes!

    Mussolini hatte Wählbarkeit und Wahlrecht für die Frauen verheißen. Kürzlich tagte in Rom ein internationaler bürgerlicher Frauenstimmrechtskongreß. Mussolini machte den Damen ritterlich seine Aufwartung und erklärte ihnen mit süßem Lächeln, die Frauen würden das Wahlrecht erhalten, und zwar das Wahlrecht zu den Gemeinderäten. Das politische Recht soll ihnen also vorenthalten bleiben. Auch sollen bei weitem nicht alle Frauen das kommunale Wahlrecht erhalten, sondern nur die, die eine gewisse Bildungsstufe nachweisen können, ferner die „kriegsdekorierten“ Frauen und die Frauen, deren Männer einen entsprechend großen Geldsack besitzen, um bestimmte Steuern zu zahlen. So sieht die Einlösung des Versprechens aus, die Gleichberechtigung der Frauen betreffend.

    Der Faschismus hatte in seinem Programm die Abschaffung des Senats und die Schaffung eines Wirtschaftsparlaments, das neben dem politischen Parlament stehen sollte. Von einem Wirtschaftsparlament ist nicht mehr die Rede. In der ersten Ansprache aber, die Mussolini vor dem Senat hielt, dieser Rumpelkammer aller Reaktionäre, feierte er gewaltig dessen Verdienste in der Vergangenheit und erklärte, er verbürge hohe Leistungen in der Gegenwart und diese müßten maßgebend dafür sein, daß der Einfluß des Senats auf die Gesetzgebung gestärkt werde.

    Die Faschisten forderten in ihrem Programm die sofortige Einberufung einer Nationalversammlung zum Zwecke einer Verfassungsreform. Wie steht es damit? Von der Nationalversammlung wird kein Ton geredet, dagegen sieht die Verfassungsreform so aus: Die Kammer, so zusammengesetzt, wie ich hier ausgeführt habe, das heißt die Mehrheitspartei in ihr, schlägt den Ministerpräsidenten vor. Der vorgeschlagene Ministerpräsident – also solange der Faschismus die Mehrheit hat, der faschistische Ministerpräsident – muß vom König ernannt werden. Er setzt nach Belieben die Regierung zusammen, stellt sich und sein Kabinett der Kammer vor und erhält von dieser ein Vertrauensvotum, wonach das Parlament sich trollt, sich auf vier Jahre vertagt, für die ganze Zeit, für die es gewählt worden ist.

    Konfrontieren wir auch einige Versprechungen des Faschismus auf sozialem Gebiete mit der Verwirklichung. Der Faschismus hatte die gesetzliche Sicherung des Achtstundentages versprochen und die Festlegung eines Lohnminimums sowohl für die industriellen als auch die landwirtschaftlichen Arbeiter. Beantragt ist ein Gesetz über den Achtstundentag, das hundert Ausnahmen vorsieht und zum Schluß noch die Bestimmung enthält, der Achtstundentag könne auch in anderen Fällen außer Kraft gesetzt werden. Dazu besteht der Achtstundentag praktisch heute schon für breite Schichten des Proletariats nicht mehr, besonders nicht für die Eisenbahner, die Postbeamten und andere Verkehrsbeamten, für die genau nach dem Muster der Dienstordnung des „Hundsfott“-Groener [3] an Stelle der Dienstbereitschaft von acht Stunden die abgeleisteten acht Stunden tatsächlicher Arbeit stehen sollen.

    Zur Festlegung eines Lohnminimums ist zu sagen, daß dank der terroristischen Fesselung und Zerstörung der Gewerkschaften, dank des Verhaltens der burgfriedlichen faschistischen „Korporationen“ die Unternehmer in ihrem Widerstand gegen jede Lohnforderung so gekräftigt wurden, daß die Arbeiter nicht einmal imstande gewesen sind, bei der schlechten Wirtschaftskonjunktur auch nur ihre alte Entlohnung zu verteidigen. Lohnsenkungen sind erfolgt von durchschnittlich 20 bis 30 Prozent, bei sehr vielen Arbeitern aber von 50 Prozent, ja, es fehlt nicht an Fällen, wo die Lohnherabsetzung 60 Prozent beträgt.

    Es waren vom Faschismus Alters- und Invalidenversicherungen versprochen worden, die gegen die schlimmste Verelendung, die schlimmste Pein schützen sollten. Und wie wurde das Versprechen erfüllt? Es ist jener schwache Ansatz zur sozialen Fürsorge für Alte, Gebrechliche und Kranke aufgehoben worden, der in Gestalt eines Fonds von 50 Millionen Lire für diese Zwecke vorhanden war. Diese 50 Millionen Lire sind „aus Sparsamkeit“ glatt aus dem Budget gestrichen worden, so daß also jetzt die Notleidenden der Arbeit in Italien auf gar keine Fürsorge mehr zu rechnen haben. Gestrichen wurden auch im Budget die 50 Millionen Lire für Arbeitsvermittlung beziehungsweise Arbeitslosenunterstützung und 60 Millionen Lire für die Kreditinstitutionen der Genossenschaften.

    Der Faschismus hatte die Forderung erhoben, daß die Arbeiter an der technischen Leitung der Betriebe beteiligt werden sollen. Also mit anderen Worten: die Kontrolle der Produktion. Es war verheißen worden, der Faschismus werde die öffentlichen Unternehmungen der technischen Kontrolle der Betriebsräte unterstellen. Heute wird ein Gesetz erwogen, das die Institutionen der Betriebsräte überhaupt aufhebt. Außerdem sollen die öffentlichen Unternehmungen vom Staat den Privatunternehmern zur Ausbeutung ausgeliefert werden, zum Teil sind sie schon ausgeliefert worden. Die Zündholzfabrikation, bisher Monopol des Staates, ist jetzt zur Sache der privaten Profitpresserei geworden, ebenso sollen der Postpaketverkehr, der Telefonverkehr, der Radio-Telegramm-Betrieb und auch die Eisenbahnen in die Hände des Privatkapitals übergehen. Mussolini hat erklärt, daß die Faschisten „Liberale im klassischen Sinne des Wortes seien“.

    Betrachten wir einige Früchte des Faschismus auf finanziellem Gebiet. Der Faschismus wollte eine gründliche Steuerreform. Sein „autoritärer“ Staat sollte seine Macht brauchen, um eine allgemeine, progressiv stark steigende Steuer auf das Kapital durchzuführen, die teilweise sogar den Charakter der „Expropriation des Kapitals“ tragen sollte. Jetzt ist die Aufhebung verschiedener Luxussteuern erfolgt, so der Equipagensteuer, der Autosteuer usw., und das mit der Motivierung, durch eine solche Steuer werde „die nationale Produktion gehemmt und das Eigentum und die Familie zerstört“. Ferner ist eine Erweiterung der indirekten Steuern vorgesehen mit einer gleich geistreichen Begründung, nämlich, daß durch die Ausdehnung der indirekten Steuer der Konsum zurückgehen und infolgedessen der Export nach dem Auslande gefördert werde. Die Bestimmung ist aufgehoben worden, daß die Wertpapiere auf den Besitzer lauten müssen, die sogenannte Nominalität der Wertpapiere, wodurch den Steuerhinterziehern Tür und Tor offen stehen.

    Mussolini und seine Garde heischten die Beschlagnahme der Kirchengüter. Statt dessen hat die faschistische Regierung verschiedene alte, schon beseitigte Konzessionen an den Klerus wieder in Kraft treten lassen. Nachdem der Religionsunterricht seit 50 Jahren abgeschafft war, ist er durch Mussolini wieder eingeführt worden, und ein Kruzifix muß in jeder Schule hängen. So sieht der Kampf gegen den Klerus aus.

    Der Faschismus hatte gefordert, daß die Verträge des Staates über Kriegslieferungen revidiert und die Kriegsgewinne bis zu 85 Prozent für den Staat erfaßt werden müßten. Was ist geschehen? Das Parlament hatte eine Kommission eingesetzt, die die Verträge über Kriegslieferungen zu prüfen hatte. Sie sollte öffentlich in der Kammer Bericht erstatten. Hätte sie dies getan, so würden wohl die meisten Schwerindustriellen, die Gönner und Nährväter der Faschisten, auf das schwerste kompromittiert worden sein. Eine der ersten Entscheidungen Mussolinis bestand darin, daß diese Kommission nur ihm persönlich Bericht zu erstatten hat und daß mit sechs Monaten Gefängnis bestraft wird, wer etwas aus dem Bericht in die Öffentlichkeit bringt. Von der Erfassung der Kriegsgewinne schweigen alle faschistischen Flöten, dagegen wurden der Schwerindustrie bereits Milliarden für Lieferungen der verschiedensten Art bewilligt.

    Auch militärisch wollte der Faschismus ein grundlegender Neuerer sein. Er verlangte die Abschaffung des stehenden Heeres, eine kurze Dienstdauer, Einstellung des Heeres nur auf Landesverteidigung und nicht auf imperialistische Kriege usw. Wie führte er sein Programm durch? Das stehende Heer wurde nicht abgeschafft, die Dienstzeit ist von 8 Monaten auf 18 Monate erhöht worden, was einer Vermehrung des Heeres von 240.000 auf 340.000 Mann gleichkommt. Gewiß, die Guardia Regia, eine Art militärisch gerüstete und organisierte Polizei, ist abgeschafft worden. Etwa weil sie infolge ihres Eingreifens bei Kundgebungen, Streiks usw. beim Volk, zumal den Arbeitern, keineswegs beliebt war? Im Gegenteil! Sie schien Mussolini zu „demokratisch“, denn sie unterstand nicht dem Kommando des Generalstabs, sondern dem Ministerium des Innern, und Mussolini fürchtete, daß diese Truppe einmal in Konflikt mit seinen Geschwadern kommen, gegen ihn auftreten könne. Die Stärke der Guardia Regia betrug 35.000 Mann. Dafür wurde die Zahl der Carabinieri von 65.000 auf 90.000 Mann erhöht, außerdem ist die Zahl der Polizisten verdoppelt worden, sogar die der Detektiv- und Zollpolizisten.

    Außerdem hat die Regierung der Faschisten die Geschwader der „Schwarzhemden“ in eine nationale Miliz verwandelt. Ihre Stärke wurde zuerst auf 100.000 geschätzt und soll nach einer neuesten Entscheidung im Lager des Faschismus künftig sogar eine halbe Million betragen. Da in die Geschwader namentlich mit den nationalistischen „Blauhemden“ zahlreiche agrarisch-monarchistische Elemente eingedrungen sind, mußte Mussolini vor Auflehnung gegen seine Diktatur zittern. Er war vom ersten Augenblick der Entstehung der Geschwader bemüht, diese unter die politische Herrschaft der Partei, das ist unter seine Oberhoheit, zu bekommen. Er glaubte, das dadurch erreicht zu haben, daß man die Geschwader einem nationalen Generaloberkommando unterstellte, das von der Parteileitung bestimmt wurde. Aber die politische Leitung konnte die Gegensätze innerhalb der Geschwader nicht verhindern, Gegensätze, die stärker und stärker wurden, als die Nationalisten, die „Blauhemden“, in die Geschwader eintraten. Um ihren Einfluß dort zu brechen, ließ Mussolini beschließen, daß jedes Parteimitglied verpflichtet sei, in die nationale Miliz einzutreten, so daß deren Stärke jetzt gleich jener der Partei sein soll. Mussolini hoffte, auf diese Weise die ihm widerstrebenden agrarischen Elemente politisch überwinden zu können. Jedoch, indem die Parteimitglieder sich in die Miliz einreihen, werden gerade auch die politischen Gegensätze in diese hineingetragen, und sie müssen sich dort weiter entwickeln, bis sie zur Zersetzung führen.

    Die bewaffnete Macht sollte lediglich zur Verteidigung des Vaterlandes verwendet werden, so hatte es geheißen. Aber die Vermehrung des Heeres und ungeheure Rüstungen sind auf große imperialistische Abenteuer eingestellt. Die Artillerie wird außerordentlich ausgebaut, die Zahl der Berufsoffiziere wird vermehrt, eine ganz besondere Förderung erfährt die Flotte. Eine große Anzahl von Kreuzern, Torpedozerstörern, Unterseebooten usw. sind in Auftrag gegeben. Eine ganz besonders auffällige Entwicklung erfährt die Luftflotte. Es sind bereits 1.000 neue Flugzeuge in Auftrag gegeben worden, viele Flugzeugstationen wurden gegründet. Eine eigene Kommission ist eingesetzt, und Hunderte Millionen Lire sind bereits der Schwerindustrie für den Bau der allermodernsten Flugapparate und militärischen Mordwerkzeuge bewilligt worden.

    Wenn man das Programm des Faschismus in Italien mit der Erfüllung vergleicht, so tritt heute schon eines zutage: der vollständige ideologische Bankrott der Bewegung. Es ist der krasseste Widerspruch vorhanden zwischen dem, was der Faschismus verheißen hat, und dem, was er den Massen bringt. Gleich einer Seifenblase ist in der Luft der Wirklichkeit das Gerede zerstoben, daß im faschistischen Staat das Interesse der Nation über allem steht. Die „Nation“ hat sich als die Bourgeoisie enthüllt, der faschistische Idealstaat als vulgärer, skrupelloser bürgerlicher Klassenstaat. Diesem ideologischen Bankrott muß früher oder später auch der politische Bankrott folgen. Und er ist bereits im Anzuge. Der Faschismus ist außerstande, auch nur die verschiedenen bürgerlichen Kräfte zusammenzuhalten, mit deren stiller, wohlwollender Gönnerschaft er zur Macht gekommen ist. Der Faschismus wollte sich die Macht zur sozialen Neuschöpfung sichern, indem er die Herrschaft im Staate an sich riß und dessen Machtapparat seinen Zielen dienstbar machen wollte. Es ist ihm noch nicht gelungen, sich auch nur den bürokratischen Apparat voll untertänig zu machen.

    Ein scharfes Ringen ist ausgebrochen zwischen der alten, eingesessenen Bürokratie und der neuen, faschistischen Beamtenschaft. Der gleiche Gegensatz besteht zwischen dem alten, regulären Heere mit seinen Berufsoffizieren und der faschistischen Landesmiliz mit ihren neuen Führern. Es wächst der Gegensatz zwischen dem Faschismus und den bürgerlichen Parteien. Mussolini hatte den Plan, in Gestalt der faschistischen Partei eine einheitliche bürgerliche Klassenorganisation zu schaffen, ein Gegenstück zum revolutionären Proletariat. Deshalb war sein Streben darauf gerichtet, alle bürgerlichen Parteien zu zerschmettern oder zu absorbieren. Es ist ihm gelungen, eine einzige Partei zu absorbieren: die der Nationalisten. Wie wiederholt angedeutet, hat die Verschmelzung ihre zwei Seiten. Der Versuch, die bürgerlichen, liberalen, republikanischen und demokratischen Gruppen auf konservativer Grundlage zu einer Partei zusammenzufassen, endete kläglich. Umgekehrt, die faschistische Politik hat dazu geführt, daß die Überreste der bürgerlichen Demokratie sich auf ihre alte Ideologie besonnen haben. Angesichts Mussolinis Macht- und Gewaltpolitik haben sie den Kampf aufgenommen „für die Verteidigung der Verfassung und die Wiederherstellung der alten, bürgerlichen Freiheit“.

    Besonders charakteristisch für die Unfähigkeit des Faschismus, seine politische Machtposition zu behaupten und zu erweitern, ist das Verhältnis zur katholischen Volkspartei, unstreitig die größte und einflußreichste bürgerliche Partei in Italien. Mussolini hatte darauf gerechnet, es werde ihm gelingen, den rechten, agrarischen Flügel dieser Partei abzusprengen und zur Vereinigung mit den Faschisten zu bestimmen, den linken Flügel aber dadurch zu schwächen und der Auflösung preiszugeben. Es ist anders gekommen. Auf dem letzten Kongreß der popolari [4] zu Turin hat sich ein wahrer Protest gegen den Faschismus erhoben. Wer auf dem rechten Flügel den Faschismus mit Wohlwollen und Schonung behandeln wollte, wurde niedergeschrien. Dagegen fand die schärfste Kritik seiner Politik stürmische Zustimmung.

    Hinter den aufgezeigten Gegensätzen und anderen noch steht der Gegensatz der Klassen, der durch keine burgfriedliche Predigt und Organisation aus der Welt geschafft werden kann. Die Klassengegensätze sind mächtiger als alle sie leugnenden Ideologien, und diese Klassengegensätze setzen sich durch trotz des Faschismus, ja gerade dank dieses Faschismus und gegen ihn. In dem Verhalten der popolari kommt zum Ausdruck die Selbstbesinnung der größten Schichten der städtischen Kleinbürger und des Kleinbauerntums auf ihre Klassenlage und ihren Gegensatz zum Großkapital, und das ist außerordentlich wichtig für die Machtpositionen, die der Faschismus in Italien behaupten kann, mit anderen Worten, für die Auflösung, der er entgegengeht. Diese Schichten – zumal die Frauen darin – sind tief katholisch, kirchlich gesinnt. Mussolini hat deshalb alles getan, um den Vatikan zu gewinnen. Aber auch der Vatikan hat nicht gewagt, der beginnenden Rebellion der Bauernmassen in der Volkspartei gegen den Faschismus entgegenzuwirken.

    Während die Kleinbauern sehen, daß der Faschismus für die Bourgeoisie Steuererleichterung, Steuerdrückebergerei und fette Aufträge bringt, müssen sie erfahren, daß ihnen härtere Steuerlasten auferlegt werden durch indirekte Abgaben und namentlich durch eine neue Berechnung des ländlichen Einkommens. Das gleiche gilt für eile kleinbürgerlichen Massen in der Stadt. Ihre schärfste Opposition wird außerdem dadurch hervorgerufen, daß der triumphierende Faschismus den geringen Mieterschutz aufgehoben hat; der Hausbesitzer hat wieder unbeschränkte Macht, durch hohe Mieten auszubeuten. Die wachsende Rebellion der Kleinbauern und Landarbeiter kommt drastisch zum Ausdruck gerade auch dort, wo der Faschismus wähnte, durch seine Geschwader jeden Widerstand gebrochen zu haben. In Boscoreale bei Neapel zum Beispiel haben mehr als tausend Bauern das Gemeindehaus gestürmt, als Protest gegen die drückenden Steuern. In drei Orten der Provinz Novara haben die Landarbeiter ihre alten Löhne und Arbeitsbedingungen mit Erfolg gegen die Großagrarier verteidigen können, und zwar nur dadurch, daß sie mehrere Güter besetzten, und das mit Unterstützung faschistischer Geschwader. Es zeigt sich, daß der Klassenkampfgedanke in den Reihen des Faschismus selbst anfängt, Wurzel zu schlagen.

    Ganz besonders wichtig ist das Erwachen der Teile des Proletariats, die vom Faschismus berauscht und vergiftet worden waren. Dieser ist außerstande, die Interessen der Arbeiter gegen die Bourgeoisie zu verteidigen, außerstande, die Versprechen zu halten, die er namentlich den faschistischen Gewerkschaften gegeben hat. Je mehr er siegt, um so unfähiger ist er, sich als Schützer der Proletarier zu erweisen. Er kann nicht einmal die Unternehmer zwingen, die Versprechungen von den Vorteilen der gemeinsamen Organisation zu halten. Wenn in den faschistischen Gewerkschaften nur wenig Arbeiter organisiert sind, so mag es möglich sein, daß der Kapitalist diese wenigen besser stellt betreffs der Löhne. Aber dort, wo Massen in den faschistischen Organisationen zusammengeschlossen sind, wird das Unternehmertum keine Rücksichten auf den „Bruder Faschist“ nehmen, weil das zu kostspielig werden würde, und in Sachen des Geldbeutels, des Profits, hört bei den Herren Kapitalisten die Gemütlichkeit auf.

    Ganz besonders hat zu dem Erwachen der Proletarier beigetragen, daß in großem Umfange Arbeiter brotlos aufs Pflaster geflogen sind – nicht nur in Privatbetrieben, sondern auch in Staatsbetrieben. 17.000 Eisenbahner wurden bald nach dem faschistischen Staatsstreich entlassen. Weitere Entlassungen sind gefolgt und stehen in sicherer Aussicht. Die staatlichen Heereswerkstätten wurden geschlossen. 24.000 Arbeiter sind dadurch brotlos geworden, wurden den Privatbetrieben zu schrankenloser Ausbeutung ausgeliefert.

    Die leidenschaftliche Auflehnung gegen die faschistische Wirtschaftspolitik kommt gerade aus den Kreisen der faschistisch organisierten Arbeiter selbst. In Turin, in Neapel, in Triest, in Venedig, in einer großen Anzahl anderer Städte waren es die faschistischen Gewerkschaften, die allen voran sich ausnahmslos mit den Arbeitern aller Parteien, aller Organisationen zusammentaten – die kommunistischen und syndikalistischen Arbeiter inbegriffen –, um in einer großen öffentlichen Kundgebung gegen die Schließung der Werkstätten und die Entlassungen zu protestieren. Von Neapel fuhren mehrere hundert Kriegsinvaliden, die ebenfalls aus den Heereswerkstätten entlassen worden waren, nach Rom, um gegen das ihnen angetane Unrecht Einspruch zu erheben. Sie erhofften von Mussolini selbst Recht und Schutz und bekamen die Quittung für ihre Gläubigkeit in Gestalt der Verhaftung, sobald sie in Rom aus dem Zuge stiegen. Die Werftarbeiter von Monfalcone, Triest, die Arbeiter vieler Orte und Industrien, die faschistischen Organisationen angehören, sind in Bewegung geraten. Es ist in einzelnen Orten wieder zur Besetzung von Betrieben, von Fabriken gekommen, und zwar gerade durch faschistisch organisierte Arbeiter und mit wohlwollender Duldung oder Unterstützung von Geschwadern.

    Diese Tatsachen zeigen, daß dem ideologischen Bankrott der politische Bankrott folgen wird und daß es zumal die Arbeiter sein werden, die sieh rasch wieder auf ihr Klasseninteresse und ihre Klassenpflicht zurückbesinnen.

    Wir haben daraus mancherlei Schlüsse zu ziehen. Zunächst, daß wir den Faschismus nicht als eine einheitliche Erscheinung betrachten dürfen, nicht als einen „Block von Granit“, an dem all unsere Anstrengungen abprallen werden. Der Faschismus ist ein zwiespältiges Gebilde, das verschiedene gegensätzliche Elemente umschließt und sich deshalb von innen heraus zersetzen und auflösen wird. Wir müssen mit größter Energie den Kampf aufnehmen nicht nur um die Seelen der Proletarier, die dem Faschismus verfallen sind, sondern auch um die Seelen der Klein- und Mittelbürger, der Kleinbauern und der Intellektuellen, kurz, all der Schichten, die heute durch ihre wirtschaftliche und soziale Stellung in wachsenden Gegensatz zum Großkapitalismus kommen und damit zum scharfen Kampf gegen ihn.

    Es wäre aber außerordentlich gefährlich anzunehmen, daß in Italien, dem ideologischen und politischen Verfall entsprechend, rasch der militärische Zusammenbruch folgen müsse. Gewiß, – auch der militärische Zerfall und Zusammenbruch des Faschismus wird, muß kommen, aber er kann noch lange durch das Schwergewicht der verfügbaren Machtmittel hinausgezogen werden. Und während in Italien das Proletariat sich vom Faschismus loslöst und wieder bewußt, stärker, zielsicher den Kampf für seine Interessen, den revolutionären Klassenkampf für seine Freiheit aufnimmt, müssen die italienischen Genossen, die Proletarier damit rechnen, daß der ideologisch und politisch verendende Faschismus sich militärisch-terroristisch, mit der allerschonungslosesten und skrupellosesten Gewalt auf sie stürzen wird. Es gilt, bereit zu sein! Ein Ungeheuer vermag oft noch im Todeskampf vernichtende Schläge auszuteilen. Deshalb müssen die revolutionären Proletarier, die Kommunisten und die Sozialisten, die den Weg des Klassenkampfes mit ihnen gehen, noch auf schwere Kämpfe gerüstet und vorbereitet sein.

    Es wäre verkehrt, wollten wir uns durch das historische Begreifen des Faschismus zur Untätigkeit, zum Abwarten, zur Einstellung des Rüstens und des Kampfes wider ihn bestimmen lassen. Sicherlich, der Faschismus ist verurteilt, sich von innen heraus zu zersetzen, zu zerfallen. Er vermag nur vorübergehend ein Klassenkampfinstrument der Bourgeoisie zu sein, nur vorübergehend die Macht des bürgerlichen Staates gegen das Proletariat illegal oder auch legal zu stärken. Es wäre jedoch sehr verhängnisvoll, wollten wir in der Rolle von klugen und ästhetischen Zuschauern seinen Verwesungsprozeß abwarten. Umgekehrt, es ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, diesen Prozeß mit allen Mitteln vorwärtszutreiben und zu beschleunigen.

    Das ist nicht nur die besondere Pflicht des Proletariats in Italien, wo sich dieser Prozeß wahrscheinlich zuerst vollziehen

    wird, sondern namentlich auch des deutschen Proletariats. Der Faschismus ist eine internationale Erscheinung, darüber sind wir uns alle einig. Nach Italien hat er bis jetzt wohl seine stärkste und festeste Position in Deutschland errungen. Hier haben der Ausgang des Krieges und das Versagen der Revolution seine Entwicklung begünstigt. Das ist erklärlich, wenn wir uns bewußt bleiben, welches die letzten Wurzeln des Faschismus sind.

    In Deutschland ist die Wirtschaft infolge des verlorenen Krieges, der Reparationslasten, des Versailler Vertrages außerordentlich zerrüttet. Der Staat ist in seinen Grundlagen erschüttert. Die Regierung ist schwach, ohne Autorität, ein Spielball in den Händen der Stinnes und Konsorten. In keinem Lande – das ist wenigstens meine Auffassung – ist der Gegensatz so groß wie in Deutschland zwischen der objektiven Reife für die Revolution und der subjektiven Unreife des Proletariats für sie infolge des Verrates, der Auffassung, des Verhaltens der reformistischen Führer. In keinem Lande hat seit Kriegsausbruch die Sozialdemokratie so schmachvoll versagt wie in Deutschland. Hier gab es eine hochentwickelte kapitalistische Industrie, hier durfte das Proletariat sich rühmen, eine gute Organisation, eine langjährige marxistische Schulung zu besitzen.

    Die englische, die französische, die österreichische sozialdemokratische Partei, alle proletarischen Organisationen, die in der II. Internationale vereinigt waren, hatten ihre Vorzüge – das können wir anerkennen. Aber die führende Partei, die Musterpartei, war die deutsche Sozialdemokratie. Ihr Versagen ist deshalb ein unverzeihlicheres, schändlicheres Verbrechen als das Versagen jeder anderen Arbeiterpartei. Jede andere kann mehr entschuldigt werden, kann mehr Gründe für ihren Bankrott bei Kriegsausbruch geltend machen als gerade die deutsche Sozialdemokratie. Der Rückschlag auf die proletarischen Massen mußte besonders stark, verhängnisvoll sein. In Verbindung mit der militärischen Zerschmetterung des deutschen Imperialismus durch den Ententeimperialismus sind deshalb hier sehr günstige Vorbedingungen dafür gegeben, daß der Faschismus stark in das Kraut schießen konnte.

    Aber es ist trotz alledem meine Überzeugung, daß der Versailler Frieden, daß die Besetzung des Ruhrgebietes mit all ihren Gewalttaten den Faschismus in Deutschland nicht so gefördert haben wie der Staatsstreich Mussolinis. Er ist solch starker Anreiz für die deutschen Faschisten gewesen wie kein anderes Ereignis. Er gab ihnen Selbstvertrauen und Siegeszuversicht. Die Überwindung, der Zusammenbruch des Faschismus in Italien würde unmittelbar die größte Entmutigung für den Faschismus in Deutschland und die größte Ermutigung für das Proletariat sein. Ganz besonders dann, wenn das Proletariat sich sagen darf: Der Faschismus in Italien, der siegreich war, der zeitweilig in der Fülle der Macht stand, ist nicht mehr, nicht nur, weil er an seinen inneren Gegensätzen zusammenbrechen mußte, nein, auch weil er verschwinden mußte kraft der starken, zielbewußten Aktion der proletarischen Massen in Italien. Diese Erkenntnis würde sich international auswirken, wie immer die Dinge in den einzelnen Ländern liegen.

    Wenn es so unsere Pflicht ist, international an die Überwindung des Faschismus in Italien unsere ganze Kraft zu setzen, so dürfen wir dabei nicht vergessen, daß die erfolgreichste Überwindung des Faschismus im Auslande immer zur Voraussetzung hat, daß wir auch den sich organisierenden Faschismus in unserem eigenen Lande mit aller Macht bekämpfen und gründlich besiegen.

    Ich habe etwas ausführlicher, wenn auch bei weitem nicht vollständig genug, die Entwicklung des Faschismus in Italien aufgezeigt, weil diese am reifsten, am klarsten und abgeschlossensten vor uns steht. Die italienischen Genossen werden meine Ausführungen vervollständigen. Ich sehe davon ab, eine Darstellung des Faschismus in anderen Ländern zu geben; sie soll Vertretern unserer Parteien aus diesen Ländern vorbehalten sein. In der Resolution, die ich vorgelegt habe, sind verschiedene Mittel dargelegt, die wir anzuwenden, verschiedene Aufgaben, die wir zu erfüllen haben, um des Faschismus Herr zu werden. Ich will nicht im einzelnen auf sie eingehen, ich glaube, sie begründen sich selbst. Ich will nur hervorheben, daß sie alle nach zwei Richtungen hingehen. Die eine Gruppe von Aufgaben zielt auf die ideologische und politische Überwindung des Faschismus ab. Diese Aufgabe ist von ungeheurer Wichtigkeit. Sie verlangt bis zu einem gewissen Grade eine Umstellung oder eine präzisere Einstellung zu bestimmten sozialen Erscheinungen, die dem Faschismus wesenseigentümlich sind, und sie verlangt höchste Aktivität. Wir müssen uns bewußt bleiben, daß, wie ich eingangs sagte, der Faschismus eine Bewegung von Hungrigen, Notleidenden, Existenzlosen und Enttäuschten ist. Wir müssen danach trachten, daß wir die sozialen Schichten, die jetzt dem Faschismus verfallen, entweder unserem Kampfe eingliedern oder sie zum mindesten für den Kampf neutralisieren. Mit aller Klarheit und Kraft müssen wir verhindern, daß sie Mannschaften stellen für die Gegenrevolution der Bourgeoisie. Soweit wir jene Schichten nicht für unsere Partei, unsere Ideale gewinnen, nicht in Reih und Glied der revolutionären proletarischen Kampfheere ziehen können, muß es uns gelingen, sie zu neutralisieren, zu sterilisieren, oder wie man sich sonst ausdrücken mag. Sie dürfen uns nicht mehr als Landsknechte der Bourgeoisie gefährlich werden. Die Voraussetzungen für unseren Erfolg sind in den Lebensbedingungen gegeben, die die Klassenherrschaft der Bourgeoisie in diesem Stadium der geschichtlichen Entwicklung für sie schafft.

    Ich lege dem die allergrößte Bedeutung bei, daß wir mit allem Zielbewußtsein, mit aller Konsequenz den ideologischen und politischen Kampf um die Seelen der Angehörigen dieser Schichten aufnehmen, die bürgerliche Intelligenz mit einbegriffen. Wir müssen uns darüber klar sein, daß hier unstreitig wachsende Massen einen Ausweg aus den furchtbaren Nöten der Zeit suchen. Dabei geht es keineswegs nur darum, den Magen zu füllen, nein, die besten Elemente von ihnen suchen einen Ausweg aus tiefer Seelennot. Sie begehren neue feste Hoffnungen, neue unerschütterliche Ideale, eine Weltanschauung, auf Grund deren sie die Natur, die Gesellschaft, ihr eigenes Leben begreifen, eine Weltanschauung, die nicht unfruchtbare Formel ist, sondern schöpferisch, gestaltend wirkt. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Gewalthaufen der Faschisten nicht ausschließlich zusammengesetzt sind aus Kriegsrohlingen, aus Landsknechtsnaturen, denen der Terror Genuß ist, aus käuflichen Lumpen. Wir finden in ihnen auch die energischsten, entwicklungsfähigsten Elemente der betreffenden Kreise. Wir müssen mit Ernst und mit Verständnis für ihre Lage und ihre brennende Sehnsucht darangehen, unter ihnen zu arbeiten und ihnen zu zeigen, daß der Ausweg für sie nicht rückwärts führt, vielmehr vorwärts, zum Kommunismus. Die gewaltige Größe des Kommunismus als Weltanschauung wird ihre Sympathien für uns gewinnen.

    Die III. Internationale ist im Gegensatz zur II. Internationale nicht nur eine Internationale für die Elite der weißen Proletarier Europas und Amerikas, sie ist die Internationale der Ausgebeuteten aller Rassen. So muß nun die Kommunistische Partei jedes Landes nicht nur die Vorkämpferin der Lohnarbeiter im engen Sinne des Wortes sein, nicht nur die Verfechterin der Interessen des Proletariats der Handarbeit, sondern auch die Vorkämpferin der Kopfarbeiter, die Führerin aller sozialen Schichten, die durch ihre Lebensinteressen, die durch ihre Sehnsucht nach einem Empor zu höherer Kultur in steigenden Gegensatz zur kapitalistischen Ordnung geraten. Ich begrüße es deshalb freudigst, daß unsere Tagung beschlossen hat, den Kampf für die Arbeiter-und-Bauern-Regierung aufzunehmen. Diese neue Losung ist nicht nur unabweisbar für die überwiegend agrarischen Länder auf dem Balkan, wie Bulgarien, Rumänien usw., sondern sie ist auch von großer Bedeutung für Italien, für Frankreich, für Deutschland und besonders für Amerika. Sie ist geradezu eine Notwendigkeit im Kampfe zur Besiegung des Faschismus. Es heißt, unter die breitesten Schichten der ausgebeuteten, schaffenden Bauern und landwirtschaftlichen Arbeiter gehen und ihnen die frohe Botschaft von dem erlösenden Kommunismus bringen. Es heißt, all den gesellschaftlichen Schichten, in denen der Faschismus Massengefolgschaft wirbt, zu zeigen, daß wir Kommunisten mit höchster Aktivität ihre Interessen im Kampfe gegen die bürgerliche Klassenherrschaft verteidigen.

    Und wir müssen noch etwas anderes tun. Wir dürfen uns nicht darauf beschränken, mit den Massen und für die Massen lediglich für unser politisches und wirtschaftliches Programm zu kämpfen. Gewiß, die politischen und wirtschaftlichen Forderungen drängen sich vor. Aber wie den Massen mehr bieten als die Verteidigung ihres Brotes? Wir müssen ihnen gleichzeitig den gesamten hehren, inneren Gehalt des Kommunismus als Weltanschauung bringen. Geschieht das, so wird unsere Bewegung Wurzeln fassen in allen sozialen Schichten, zumal auch unter den bürgerlichen Intellektuellen, die zufolge der geschichtlichen Entwicklung der letzten Jahre unsicher geworden sind in ihrem Denken und wollen, die die alte Weltanschauung verloren, ohne im Wirbelsturm der Zeit bereits eine neue, feste Weltanschauung gefunden zu haben. Lassen wir die suchenden nicht zu Irrenden werden.

    Wenn ich im Sinne dieser Gedankengänge sage: „Heran an die Massen!“, so sei betont, was eine Voraussetzung des Erfolges ist. Wir dürfen das Wort Goethes nicht vergessen: „Getretener Quark wird breit, nicht stark.“ Wir müssen unsere kommunistische Ideologie ganz stark, ganz klar erhalten. Je mehr wir an die Massen herantreten, um so notwendiger ist es, daß die kommunistische Partei eine organisatorisch und ideologisch festgeschlossene Einheit ist. Wir dürfen uns nicht breit, quallenartig zerfließend in die Massen aus- gießen. Das würde zum schädlichsten Opportunismus führen, und wir würden außerdem einen schimpflichen Bankrott unserer Bemühungen um die Massen erleiden. Von dem Augenblicke an, wo wir durch Konzessionen an den „Unverstand der Massen“ – neuer und alter Massen – unsere wahre Existenz als Partei aufgeben, verlieren wir das, was für die Suchenden das Wichtigste, das Bindende ist: die Flamme des neuen geschichtlichen Lebens, die leuchtet und wärmt, Hoffnung gibt und Kampfkraft.

    Was not tut, ist, daß wir unsere Methoden der Agitation und Propaganda wie unsere Literatur entsprechend den neuen Aufgaben gestalten. Wenn der Berg nicht zu Mohammed kommt, bleibt Mohammed nichts anderes übrig, als zum Berge zu gehen. Wenn jene neuen Massen, um die wir werben müssen, nicht zu uns kommen, müssen wir sie aufsuchen, müssen mit ihnen in einer Sprache reden, die ihrer Einstellung entspricht, ohne daß wir dabei das Geringste von unserer kommunistischen Auffassung preisgeben. Wir brauchen eine besondere Literatur für die Agitation unter den Bauern, wir brauchen eine besondere Literatur für die Beamten, Angestellten, Klein- und Mittelbürger jeder Art und wieder eine eigene Literatur für die Arbeit unter den Intellektuellen. Unterschätzen wir nicht, welche Rolle die Intellektuellen nicht nur in der Revolution, sondern auch nach der Revolution spielen können. Denken wir an die außerordentlich schädliche Sabotage der Intellektuellen in Rußland nach der Oktoberrevolution. Wir wollen von den Erfahrungen unserer russischen Brüder lernen. Deshalb müssen wir uns klar darüber sein, daß es nicht gleichgültig ist, sowohl im Augenblick der Revolution als nach ihr, ob die Intellektuellen bei uns oder gegen uns stehen.

    So legt uns der Kampf gegen den Faschismus eine außerordentliche Fülle neuer Aufgaben auf. Es ist die Pflicht jeder einzelnen Sektion der Kommunistischen Internationale, entsprechend den gegebenen konkreten Verhältnissen in ihrem Lande diese Aufgaben in Angriff zu nehmen und durchzuführen.

    Uns muß jedoch bewußt bleiben, daß die ideologische und politische Überwindung des Faschismus allein nicht genügt, um das kämpfende Proletariat vor der Gewalt und Tücke dieses Feindes zu schützen. Das Proletariat steht augenblicklich dem Faschismus gegenüber unter dem Zwang der Notwehr. Sein Selbstschutz, seine Selbstverteidigung gegen den faschistischen Terror darf nicht eine Minute vernachlässigt werden. Es geht um Leib und Leben der Proletarier, um die Existenz ihrer Organisationen. Selbstschutz der Proletarier, lautet ein Gebot der Stunde. Wir dürfen den Faschismus nicht nach dem Muster der Reformisten in Italien bekämpfen, die ihn anflehten: „Tu mir nichts, ich tue dir auch nichts!“ Nein! Gewalt gegen Gewalt! Nicht etwa Gewalt als individueller Terror – das bliebe erfolglos. Aber Gewalt als die Macht des revolutionären organisierten proletarischen Klassenkampfes.

    Den Anfang zum organisierten Selbstschutz des Proletariats gegen den Faschismus haben wir in Deutschland gemacht mit der Organisierung der Betriebshundertschaften. Wenn diese Hundertschaften ausgebaut werden und in anderen Ländern Nachahmung finden, so wird die internationale Überwindung des Faschismus gelingen. Aber proletarischer Kampf und Selbstschutz gegen den Faschismus, das besagt: Proletarische Einheitsfront ...

    [Der Faszismus fragt nicht, ob der Arbeiter im Betriebe eine weiß-blau bayrisch angestrichene Seele hat, für die schwarz-rot-goldene Bourgeois-Republik oder für das rote Banner mit Sichel und Hammer schwärmt ... Ihm genügt, daß er einen klassenbewußten Proletarier vor sich hat, und den schlägt er nieder. Deshalb müssen sich die Arbeiter ohne Unterschied der Partei und der Gewerkschaftsorganisation zum Kampfe zusammenfinden.] [A] Der Selbstschutz des Proletariats gegen den Faschismus ist eine der stärksten Triebkräfte, die zum Zusammenschluß und zur Stärkung der proletarischen Einheitsfront führen muß. Ohne Einheitsfront ist es unmöglich, daß das Proletariat die Selbstverteidigung mit Erfolg durchführt. Daher ist es notwendig, unsere Agitation in den Betrieben immer mehr auszubauen und zu vertiefen. Sie muß vor allem auch jene Gleichgültigkeit, den Mangel an Klassenbewußtsein und Solidarität in der Seele der Arbeiter überwinden, die meinen: „Die anderen mögen kämpfen und sich rühren, auf mich kommt es nicht an.“

    Wir müssen jedem einzelnen Proletarier die Überzeugung einhämmern: Auf mich kommt es auch an. Ohne mich geht es nicht. Ich muß dabei sein. Mir winkt der Sieg. – Jeder einzelne Proletarier muß fühlen, daß er mehr ist als ein Lohnsklave, mit dem die Wolken und Winde des Kapitalismus der herrschenden Gewalten spielen. Er muß fühlen, klar darüber sein, daß er ein Glied der revolutionären Klasse ist, die den alten Staat der Besitzenden umhämmert in den Staat der Räteordnung. Nur wenn wir in jedem einzelnen Arbeiter das revolutionäre Klassenbewußtsein entzünden und zur Flamme des Klassenwillens anblasen, wird es uns gelingen, auch militärisch die notwendige Überwindung des Faschismus vorzubereiten und durchzuführen. Dann mag die Offensive des Weltkapitals gegen das Weltproletariat, gestärkt durch den Faschismus, vorübergehend noch so brutal, noch so heftig sein, das Proletariat wird sie schließlich doch zurückschlagen. Mit der kapitalistischen Wirtschaft, mit dem bürgerlichen Staat, mit der Klassenherrschaft der Bourgeoisie ist es trotz des Faschismus Matthäi am letzten. Laut, eindringlich redet uns die faschistische Zerrüttungs- und Zerfallserscheinung der bürgerlichen Gesellschaft vom künftigen Sieg, wenn das Proletariat wissend und wollend in Einheitsfront kämpft. Es muß! Über dem Chaos der heutigen Zustände wird sich die Riesengestalt des Proletariats mit dem Rufe aufrecken: Ich bin der Wille! Ich bin die Kraft! Ich bin der Kampf, der Sieg! Mir gehört die Zukunft!

    (Stürmischer, lang anhaltender Beifall. Die Versammelten erheben sich und singen die Internationale.)
    Fußnote von MIA

    A. Dieser Passus fehlt in der DDR-Ausgabe der Ausgewählte Reden ...
    *
    Anmerkungen

    1. Protokoll des Internationalen Sozialistischen Arbeiterkongresses in Hamburg vom 21. bis 25. Mai 1923, Berlin 1923, S.26.

    2. Ebenda, S.29.

    3. „Hundsfott“-Groener – Wilhelm Groener (1867-1939), General, 1916 stellvertretender Kriegsminister und Chef des Kriegsamtes in Preußen. Verfasser des „Hilfsdienstgesetzes“. Erließ im April 1917 einen Aufruf zur Unterdrückung der Streikbewegung, in dem er jeden Streikenden als „Hundsfott“ beschimpfte. In der Weimarer Republik Reichsverkehrsminister (1920-1923), Reichswehrminister (1928-1932) und Reichsinnenminister (1931-1932). Als Reichsverkehrsminister war er für die am 5. August 1922 herausgegebenen „Dienstdauervorschriften“ verantwortlich, die die Durchsetzung der 48-Stunden-Woche bei der Deutschen Reichsbahn verhinderten.

    4. Bezeichnung der Mitglieder der Italienischen Volkspartei (Partito popolare italiana).

    Protokoll der Konferenz der Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale, Moskau, 12.-23. Juni 1923, Hamburg 1923, S.204-232.
    Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften, Bd.2, Berlin 1960, S.689-729.

    Transkription und HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für das Marxists’ Internet Archive.

    #fascisme

  • Dans « Our country has lost its moral compass »
    https://seenthis.net/messages/1034287
    Arundhati Roy dit

    –-> In 1937, Winston Churchill said of the Palestinians, I quote, “I do not agree that the dog in a manger has the final right to the manger even though he may have lain there for a very long time. I do not admit that right. I do not admit for instance, that a great wrong has been done to the Red Indians of America or the black people of Australia. I do not admit that a wrong has been done to these people by the fact that a stronger race, a higher-grade race, a more worldly wise race to put it that way, has come in and taken their place.” That set the trend for the Israeli State’s attitude towards the Palestinians. In 1969, Israeli Prime Minister Golda Meir said, “Palestinians do not exist.”
    ...
    Thiruvananthapuram on December 13. 2023

    merci @cdb_77

    Finalement Churchill et Hitler n’étaient pas si loin l’un de l’autre à la différence que l’homme d’état savait ce que c’était de gouverner un empire mondial alors que le peintre autrichien rêvait d’en « construire » un. Son antisemitisme fanatique comme plein d’autres de ses particularités rendaient le mouvement politique nazi incmpatible avec la domination internationale recherchée.

    Racial views of Winston Churchill
    https://en.m.wikipedia.org/wiki/Racial_views_of_Winston_Churchill

    Some academics, such as Kehinde Andrews, go so far as to suggest Churchill was “the perfect embodiment of white supremacy”, while others like historian Andrew Roberts, say that Churchill could certainly be accused of paternalism, but not race-hatred.

    Pas besoin de haïr les gens qui travaillent pour toi.

    Source de la citation d’Arundhati Roy :
    Roberts, Andrew (2018). Churchill : Walking with Destiny. London : Allen Lane. ISBN 978-11-01980-99-6. page 106

    #colonialisation #racisme #impérialisme #antisemitisme #fascisme #Allemagne #Grande_Bretagne

  • Où il est fait explication de ce qui s’accélère en France depuis 2014 et que (amha) ça pue du cul ...

    Israël-Palestine : « C’est la liberté d’expression qu’on veut censurer » | Mediapart
    https://www.mediapart.fr/journal/france/250424/israel-palestine-c-est-la-liberte-d-expression-qu-veut-censurer

    LeLe monde navigue depuis 200 jours dans des eaux troubles. Plus de six mois depuis les massacres du Hamas et d’autres groupes palestiniens en Israël, 1 100 morts, et toujours 130 otages à Gaza. Plus de six mois de massacres de l’armée israélienne à Gaza, plus de 34 000 mort·es et des dizaines de milliers de blessé·es, d’orphelin·es, de disparu·es. Ces massacres nient notre humanité commune. Personne ne saurait les justifier.

    Dans ces eaux troubles cohabitent, mal, des sentiments mêlés : la peur, la rage et parfois la haine, l’indignation et la colère. Certains essentialisent les juifs, nourrissant un antisémitisme inacceptable. D’autres essentialisent les Palestiniens ou les musulmans comme autant de soutiens du Hamas, et portent sur eux un soupçon permanent dès qu’ils manifestent leur solidarité avec la Palestine. Des manifestations ont été interdites.

    À lire aussi – La tribune « Contre une démocratie bâillonnée, défendons les libertés publiques » dans Le Club de Mediapart

    Des militant·es, des chercheurs et chercheuses, des étudiant·es, des syndicalistes, ont été sanctionné·es, entendu·es, censuré·es. Certain·es sont jugé·es ou convoqué·es pour avoir fait l’« apologie du terrorisme ». Mais ce ne sont pas des terroristes ni des apologistes de crimes. Ils et elles défendent des opinions politiques. Elles peuvent ne pas plaire. Faut-il pour autant bâillonner leur liberté d’expression ? Si elles et eux sont visé·es aujourd’hui, ne pourrions-nous pas tous et toutes l’être demain ?

    L’émission spéciale de Mediapart avec :

    Véronique Bontemps, anthropologue, chargée de recherche au CNRS ;
    Rima Hassan, candidate de La France insoumise aux élections européennes ;
    Céline Verzeletti, secrétaire confédérale de la CGT ;
    Tayeb Khouira, porte-parole du syndicat Sud aérien ;
    Olivier Besancenot, militant du Nouveau Parti anticapitaliste, ancien candidat à l’élection présidentielle ;
    Cyrielle Chatelain, présidente du groupe écologiste à l’Assemblée nationale ;
    Vanessa Codaccioni, professeure de science politique à l’université Paris 8 ;
    Carine Fouteau, présidente et directrice de la publication de Mediapart.

    #fascisme #dérives autoritaires #lois_scélérates

  • #Fascisme & #Extrême-droite – siamo tutti antifascisti

    Depuis l’arrêt de mes articles « Dans mon historique » (https://lunatopia.fr/categories/historique), je réfléchi au format qui me conviendrait pour les remplacer. Je l’ai dit dans le dernier en date, je sature du format, et j’ai envie d’écrire plus, de donner mon avis, au lieu de me contenter de relayer celui des autres.

    Et pourtant, je n’ai presque rien publié depuis janvier 2022 : un article sur mes débuts en linogravure (https://lunatopia.fr/blog/premiers-pas-linogravure), et trois articles sur mes lectures du début (https://lunatopia.fr/blog/mes-lectures-5) et de la fin de l’année (https://lunatopia.fr/blog/mes-lectures-6), ainsi que sur Mon territoire de Tess Sharpe (https://lunatopia.fr/blog/mon-territoire-tess-sharpe), mon roman préféré de 2022. [Edit : j’ai mis tellement de temps à finir cet article que j’ai depuis repris la publication des Dans mon historique (https://lunatopia.fr/categories/historique). Mais le constat de mon ras le bol tient toujours.]

    En revanche, après une grosse période de ras le bol généralisé, j’ai recommencé à lire, à écouter, à me renseigner. Mais au lieu de me laisser porter par l’actualité et surtout par les paniques morales du moment, c’est-à-dire par l’agenda médiatique de la droite et l’extrême-droite ; j’ai décidé de me tourner vers des lectures de fond, plus théoriques, ou en tout cas qui conservent leur intérêt une fois passée la polémique du moment.

    Ce qui m’a donné l’idée d’un nouveau type d’article, #recueil de liens là encore, mais avec plus de commentaires de ma part, et surtout : thématique. L’idée étant de pouvoir y revenir et les compléter au fur et à mesure que j’engrange des #ressources et des #références sur un sujet précis, afin de me constituer une base de connaissance militante à laquelle me référer et à partager, à la façon d’un #vade-mecum en quelque sorte.

    Et on commence par un sujet léger : le fascisme & l’extrême-droite.

    https://lunatopia.fr/blog/fascisme-extreme-droite-siamo-tutti-antifascisti

    #vademecum #bibliographie #liste #playlist #livres #articles #podcasts #films #vidéos #ressources

  • Giorgia Meloni assigne l’historien Luciano Canfora en justice pour diffamation, une aberration
    https://www.liberation.fr/idees-et-debats/tribunes/giorgia-meloni-assigne-lhistorien-luciano-canfora-en-justice-pour-diffama

    Pour avoir qualifié la Première ministre italienne de « néonazie dans l’âme », le chercheur comparaît devant la justice italienne le 16 avril, alerte un collectif d’une centaine d’intellectuels et de journalistes. La dirigeante met l’Italie en coupe réglée et s’attaque à tous les contre-pouvoirs.
    –—
    A l’heure où les libertés académiques sont menacées partout dans le monde, nous, historiens, philologues, philosophes, éditeurs, journalistes, souhaiterions alerter l’opinion publique sur une affaire extrêmement grave, et qui n’a pourtant jusqu’à présent fait l’objet d’aucun article dans la presse française.

    Le 16 avril prochain aura lieu à Bari un procès sans exemple en Europe depuis 1945. L’historien #Luciano_Canfora, l’un des plus grands intellectuels italiens, est attaqué en #diffamation, à 81 ans, par nulle autre que la cheffe du gouvernement, Giorgia Meloni.

    Voici les faits qui lui sont reprochés : il y a deux ans, lors d’une conférence dans un lycée, Luciano Canfora a qualifié #Giorgia_Meloni de « néonazie dans l’âme ». Il faisait par là allusion au fait que le parti qu’elle dirige, Fratelli d’Italia, trouve ses origines historiques dans la « République de Salò » (1943-1945), sorte de protectorat #nazi gouverné par un #Mussolini Gauleiter du IIIe Reich, et qui fit régner dans l’#Italie du Nord un régime de terreur que les Italiens désignent couramment sous le nom de « nazifascisme ». Cette filiation est incontestable. Et de fait, Fratelli d’Italia arbore toujours la flamme tricolore du Mouvement social italien (MSI), dont le nom reprenait la titulature de #Salò : République sociale italienne (RSI).

    Le fondateur de ce parti, Giorgio Almirante (1914-1988) affirmait encore en 1987 que le fascisme était « le but ultime » (« il traguardo ») de son parti. Ces origines n’ont jamais été reniées par Giorgia Meloni, qui célébrait récemment Giorgio Almirante – rédacteur de la revue raciste et antisémite la Difesa della Razza (de 1938 à 1943), puis chef de cabinet d’un ministre de Salò – comme « un politique et un patriote, un grand homme que nous n’oublierons jamais », ni d’ailleurs par aucun des membres de son parti, à commencer par le président du Sénat, Ignazio La Russa, qui se vante d’avoir chez lui des bustes de Mussolini.

    Tous, systématiquement, refusent de se définir comme antifascistes : c’est comme si, en France, un gouvernement refusait de revendiquer l’héritage de la Résistance. De là des scènes pénibles, comme lorsque Ignazio La Russa, en visite au Mémorial de la Shoah en compagnie d’une rescapée des camps, la sénatrice Liliana Segre, répond aux journalistes qui lui demandaient s’il se sentait, ce jour-là, « antifasciste » : « N’avilissons pas ces occasions. »

    Giorgia Meloni n’a jamais condamné les manifestations néofascistes récentes, notamment celle qui a eu lieu récemment à Rome, Via Acca Larentia, ni les violences néofascistes comme le passage à tabac de lycéens à Florence l’an dernier, et elle s’est même permis – ce qui est une première en Italie – de tancer le président de la République, le très modéré Sergio Mattarella, parce que, conformément à ses fonctions de gardien de la Constitution, il avait protesté contre la violence inouïe avec laquelle la police avait réprimé des manifestations pacifistes d’étudiants à Pise et à Florence.

    Très loin de l’image modérée qu’elle projette sur la scène internationale, Giorgia Meloni est, en réalité, en train de mettre l’Italie en coupe réglée. Elle ne cache nullement son intention de faire évoluer l’Italie vers le modèle illibéral de la Pologne et de la Hongrie. « On pense que c’est inconcevable, mais cela pourrait arriver », déclarait en début d’année Giuliano Amato, ancien Premier ministre et président émérite de la Cour constitutionnelle. Peu après, et comme par hasard, le ministère de la Justice annulait à la dernière minute une présentation de son dernier livre devant les détenus d’une prison… C’est que cette politique comprend un volet culturel fondamental, qui n’épargne même pas un dessin animé comme Peppa Pig (un épisode montrait un jeune ours polaire élevé par un couple de lesbiennes). Il s’agit, comme l’affirmait Gianmarco Mazzi, secrétaire d’Etat à la Culture, de « changer la narration du pays ».

    Tous les contre-pouvoirs possibles sont visés : médias publics, institutions culturelles, animateurs vedettes, journalistes d’investigation, et bien sûr intellectuels. Une émission récente recensait un nombre de procès impressionnant (et la liste n’est pas exhaustive) : le ministre du Développement économique, Adolfo Urso, attaque La Repubblica et Report ; le ministre de la Défense, Guido Crosetto, attaque Domani et Il Giornale ; le Secrétaire d’Etat Giovanbattista Fazzolari attaque Domani, La Stampa et Dagospia.

    La sœur de Giorgia Meloni s’invite à la fête en attaquant en justice un caricaturiste du Fatto Quotidiano. Les deux sœurs se sont même associées pour poursuivre chacune de son côté Brian Molko, le chanteur du groupe britannique Placebo… On apprend maintenant que le ministre de l’Agriculture Francesco Lollobrigida, beau-frère de Giorgia Meloni, poursuit une professeure de philosophie de La Sapienza, Donatella di Cesare, mais aussi le recteur de l’université pour étrangers de Sienne, Tomaso Montanari. « Ils ont la peau délicate », ironise Pier Luigi Bersani (PD).

    C’est dans ce contexte que Giorgia Meloni a fait condamner le grand écrivain Roberto Saviano à 1 000 euros de dommages en première instance (elle en demandait 75 000) pour avoir osé traiter de « salauds » la Première ministre et son vice-Premier ministre Matteo Salvini suite à la mort d’un bébé sur un bateau de migrants : « Giorgia Meloni me considère comme un ennemi », expliquait l’écrivain. « Sa volonté et celle de ses associés au gouvernement est de m’anéantir. […]. Ils ont traîné en justice la parole, la critique politique. Ils ont contraint des juges à définir le périmètre dans lequel il est possible de critiquer le pouvoir », explique-t-il à Libération.

    Luciano Canfora, qui jouit d’une immense notoriété dans son pays, est donc la prochaine cible. « Un des succès de Giorgia Meloni », faisait observer Federico Fubini, du Corriere della Sera, « c’est qu’elle est parvenue à rendre presque impoli le fait de lui demander ce qu’elle pense du #fascisme  ». C’est précisément cette impolitesse qu’a osé commettre le savant helléniste.

    Nous sommes loin de partager tous les positionnements politiques de Luciano Canfora. Nous n’en sommes que plus libres pour affirmer son droit absolu à les exprimer. Bien plus : c’est notre devoir. Comme le formula si fortement l’un des plus grands juristes du siècle dernier, Oliver Wendell Holmes (1809-1894) : « S’il y a un principe […] qui exige plus impérieusement que tout autre d’être respecté, c’est le principe de la libre-pensée – non pas la liberté de pensée pour ceux qui sont d’accord avec vous, mais la liberté pour la pensée que vous détestez. » Freedom for the Thought That We Hate : ce fut le titre d’un grand livre d’Anthony Lewis. Il devient plus qu’urgent de le traduire.

    Toutes et tous, le mardi 16 avril, nous serons présents en pensée au tribunal de Bari, aux côtés du professeur Luciano Canfora.

    • Le bureau du procureur de Bari, à l’issue de l’audience préliminaire, a confirmé l’ouverture d’un procès, le 7 octobre prochain. « La Première ministre sera très certainement appelée pour témoigner à la barre », a souligné l’avocat de Luciano Canfora auprès de l’agence ANSA.

  • Peines contre les parents, internats : Attal s’en prend encore aux jeunes de quartiers populaires
    https://www.revolutionpermanente.fr/Peines-contre-les-parents-internats-Attal-s-en-prend-encore-aux


    Mais EDM, il n’a pas justement un gamin qui fait le con ? C’est ballot de se tirer ainsi une balle dans le pied. Ou alors, il faut lire en tout petit en bas : seulement pour les gens racisés ?

    Prétextant vouloir « restaurer la parentalité », le texte de loi cible dans un premier temps les parents de mineurs ayant commis des infractions à la loi. Éric Dupond-Moretti s’appuie notamment sur l’article 227-17 du Code pénal, qui punit les parents lorsqu’un mineur commet « plusieurs crimes ou délits ». Après avoir exhorté les parquets à utiliser ce dispositif, le garde des Sceaux se félicitait le 9 avril d’une hausse de condamnation des parents. « Plus de 310 condamnations ont été prononcées en un an. Cela fait une augmentation de 40%, depuis le premier trimestre 2023 », a-t-il ainsi proclamé à l’Assemblée nationale. L’article en question prévoit actuellement des peines allant jusqu’à deux ans de prison et 30 000€ d’amende, qui seraient alourdies par le projet de loi, allant jusqu’à « trois ans d’emprisonnement et 45 000 euros d’amende ».

  • German colonial genocide in Namibia the #Hornkranz massacre

    Introduction

    On 12 April 1893, German colonial troops attacked the Nama settlement of ||Nâ‡gâs, known today as Hornkranz. Their intent was to destroy the settlement and its people, after its leader, Hendrik Witbooi, refused to sign so-called ‘protection’ treaties—tools of the German colonial administration for controlling sovereign indigenous nations and their lands. As their presence in what they declared in 1885 as ‘German Southwest Africa’ grew, the German regime was increasingly unwilling to tolerate the independence and agency exercised by Hendrik Witbooi and his clan in the face of the encroaching German empire.

    In their attack on Hornkranz, the Germans wanted to both make an example of the Witbooi clan and to punish them for their defiant rejection of German rule. Curt von Francois, who led the attack, made his objective clear: ‘to exterminate the Witbooi tribe’ (Bundesarchiv, R 1001/1483, p. 46). In this premeditated act of erasure, his troops massacred almost eighty women and children before capturing another hundred, burned what remained of the settlement to the ground, and established a garrison, rendering it impossible for survivors to return.

    Though the genocide of the Nama, Ovaherero and other peoples indigenous to what is now modern-day Namibia is widely recognised to have taken place between 1904 and 1908, the Nama people remember this massacre as the true first act in the genocide against them. This is substantiated not only by the clarity of the German objective to destroy the |Khowesin as a people, but also by the retrospective reading of Hornkranz as a clear precedent of the systemic tactics of dispossession and destruction that would be used by the Germans against the Nama, the Ovaherero, the San, and others in the years to come.

    Outside of the descendant communities, the events at Hornkranz have until now been overlooked and underrepresented, as has the cultural significance of the settlement itself within the dominant historiography, broadly based on the German visual and narrative record. The site of the former Witbooi settlement was expropriated and today constitutes a private farm, access to which is possible only with special permission from its owner. The descendants of Hornkranz are rarely able to visit their own cultural heritage sites and commemorate the struggle of their ancestors.

    The faint extant traces of the Witbooi settlement at Hornkranz can be identified today only with the guidance of the descendants and the historians that learned from them. Two plaques on the site are the only indications of the Nama presence on that land. One plaque was inaugurated by the community in 1997, the only occasion on which they were able to gather to commemorate the massacre at the site where it took place. The other plaque (date unknown) glorifies the German troops, even going so far as to include an offensive slur for the Nama; the massacre is described as a ‘battle’, conveying little of the atrocities perpetrated there.

    The descendants of Hornkranz and the wider Nama community continue to struggle for justice and for opportunities to correct the historical record and tell the story of Hornkranz on their own terms. In support of their efforts to resist this erasure, we worked with descendants, who have inherited knowledge of their community’s history through oral transmission over multiple generations, to reconstruct the lost settlement and produce a new body of visual evidence about the massacre and its aftermath. Led by their testimonies, we used modelling and mapping techniques along with our own field research and a very limited archival record to situate their accounts and rematerialize Hornkranz.

    Our reconstruction of the Witbooi settlement at Hornkranz aims to underscore the vitality of oral tradition in the act of reconstituting the colonial archive and testifies to the oral transmission of inherited knowledge as an ongoing act of resistance in itself.
    Background

    The |Khowesin (Witbooi) people, a semi-nomadic subtribe of the wider Nama peoples, settled around the perennial spring at Hornkranz in 1884-1885, the very period during which the Berlin Conference, formalising the fragmentation of Africa into colonies and protectorates, was taking place. The chief of the Witbooi clan, Hendrik Witbooi, later went on to become one of the most prominent figures of anti-colonial resistance in Southwest Africa, uniting all Nama clans and later forming a coalition with the Ovaherero to fight against the German colonial regime.

    Following the establishment of their settlement in Hornkranz, the Witbooi Nama lived relatively undisturbed until 1892, when first attempts to compel Hendrik Witbooi into signing a protection treaty began. Hendrik Witbooi, aware that the true objective of the so-called ‘protection treaties’ was nothing short of subjugation, was the last leader to refuse to comply:

    What are we being protected against? From what danger or difficulty, or suffering can one chief be protected by another? […] I see no truth or sense, in the suggestion that a chief who has surrendered may keep his autonomy and do as he likes.

    The German attempt to secure control over the peoples inhabiting the colony and their land is manifested in their mapping efforts. The first map we found featuring Hornkranz dates to 1892, the same year that the Germans began demanding the Witbooi sign such treaties. Despite Witbooi’s refusal to sign, Hornkranz is labelled in these German maps as ‘proposed Crown Land’ already six months before the attack—the very act of cartographic representation prefiguring the expulsion and massacre to follow less than a year later.

    After the Germans attacked Hornkranz, the Witboois were finally forced to concede and sign one of the protection treaties they had so long been resisting.

    A decade later, in 1904, the Nama joined the Ovaherero in an anti-colonial struggle against German rule. In response, the Germans issued an extermination order against the Ovaherero and later, another against the Nama. Hendrik Witbooi died in battle on 29 October 1905. Following his death, the Nama tribes surrendered. The extermination order against the Nama was never revoked.
    12 April 1893: The Attack and Aftermath

    The German troops approached the settlement in the early hours of 12 April, planning to attack under the cover of night without any warning. They then split into three contingents—a recounting of this strategy is recorded in the diary of Kurd Schwabe, one of the perpetrators of the attack. Von Francois led the attack from the northern side, entering the village first, while Schwabe approached from the east.

    Hendrik Witbooi, who was allegedly sitting outside of his house when he noticed the approaching troops, ordered all Nama fighters to retreat and take up defensive positions along the riverbed, where he expected the ensuing battle to take place. Instead, the German troops stopped when they reached the sleeping village and proceeded to target the defenceless population that had stayed behind. The brutality of the onslaught came as a shock to Hendrik Witbooi, who had not expected the Germans to unleash such ‘uncivilised’ tactics upon another sovereign nation.

    Sixteen thousand rounds of bullets were reportedly discharged by the Germans in the span of just thirty minutes. According to the testimony of descendants and corroborated by Schwabe’s diary, some victims were burned alive in their homes.

    The canisters recovered from the site during our fieldwork in September 2023 indicate where some exchange of fire may have taken place while the Witbooi fighters were retreating. While the found bullets were identified as those used by the Witbooi Nama, their location and distribution also corroborates written descriptions of the massacre unfolding in the inhabited area of the settlement, with stored ammunition exploding from inside the burning houses.

    The massacre yielded 88 victims: ten men, including one of Hendrik Witbooi’s sons, and 78 women and children.

    The following day, the German troops returned to raze what remained of the settlement to the ground. Promptly after, a garrison was established on the ashes of the Witbooi settlement, reinforcing the Germans’ clear intention to claim the land and prevent the Witboois from ever returning.

    Over the next year, the Witbooi Nama made several attempts to return to Hornkranz, resulting in four more skirmishes on the site. Eventually, they were forced to sign a protection treaty in Naukluft in August 1894, which cemented the dispossession of their land.

    The treaty meant that the Witbooi Nama were now obliged to assist the Schutztruppen in their battles against other tribes, most devastatingly at the Battle of Waterberg in August 1904 (see our Phase 1 investigation of this event). Once the Nama realised the true genocidal intent of the Schutztruppen, they united with the Ovaherero against colonial rule. The extermination order against the Nama was issued on 22 April 1905.

    After the genocidal war ended in 1908, Hornkranz was sold off to a private owner and a police station was established on its premises. Today, the police station building is the main farmhouse.

    Nama descendants are seeking to establish the 1893 massacre as the first act of genocide against the Nama, and 12 April as the official Genocide Remembrance Day in Namibia.

    This investigation—part of a larger collaboration between Forensic Architecture, Forensis, Nama Traditional Leaders Association (NTLA) and Ovaherero Traditional Authority (OTA)—seeks to support the community’s broader efforts to make the site accessible for commemoration and preservation.

    Methodology
    What Remains

    Little material evidence of Hornkranz survives today. This is in part due to the scale and totality of destruction by the Germans; but it is also a testament to the Witbooi’s steadfast resistance to being documented by the colonial regime, as well as to the light footprint the Nama exerted on the land through their semi-nomadic inhabitation and subsistence. The archival record about the Witbooi and Hornkranz is also sparse and skewed. Alongside an incomplete and biased colonial description of the massacre and the settlement, the only visual representation of Hornkranz on record is a soldier’s crude sketch showing its houses set alight by the German troops on the night of the massacre. The memory of Hornkranz as it was at the time of the attack lives on instead through the descendant communities who have inherited the testimonies of their forebearers about its material culture, rituals, life and environmental practices; our reconstruction and understanding of Hornkranz is possible only insofar as we are led by their testimonies.

    Around the rectangular patch where Hendrik Witbooi’s house once stood, Maboss Ortman and Lazarus Kairabeb, NTLA advisors, identified stones they said are the ruins of the house. Right next to it is the only stone foundation in the settlement, that of a church still under construction at the time of the German assault. These two traces anchored us spatially when we began the 3D reconstruction. We were told by Zak Dirkse, a Nama historian, that Hendrik Witbooi’s house was located higher up in the settlement, with the other houses further down toward the river.

    The other remains and known landmarks of the original Hornkranz settlement help us to navigate it and determine its approximate boundaries. During our visit to the site, the farm owner pointed us to a long strip of clustered stones he explained were the remains of the settlement’s defensive walls, some 300 metres north-west of the church ruins. To the south, by the river, the settlement’s former cemetery is marked by the spread of small rectangular cut stones marking each grave. Further along the river, Maboss and Lazarus showed us the remains of two defensive ramparts, guard outposts downhill from the settlement on its outer edges. They recounted that these ramparts were identifiable to the Witbooi from a distance by a white cornerstone that stands out among the brown stones the rest of the rampart is made of. The ramparts are placed along the hill leading down to the river and would have had a wide lookout view. A few steps to the west of one of the ramparts, we found what brought the Witbooi to this area, a rare perennial spring, which acted not only as a fresh water source for the village, but as a lifeline to the fauna and flora on which the Witbooi relied to survive. Since the early 20th century, this spring has been surrounded to its north by a concrete dam. By establishing this constellation of remains and landmarks, we were able to clarify the approximate outer edges of the settlement.

    Reconstruction

    To reconstruct the Hornkranz settlement, departing from the few architectural landmarks at our disposal, we replicated the architecture of each house and the elements of family life around it, estimated the area of inhabitation within the settlement, and constructed possible layouts of house distribution within the settlement. This reconstruction was led by the close guidance of descendants of the Witbooi we met with in Gibeon, the expertise of Nama historian Zak Dirkse, and the feedback of the Witbooi Royal House council, the representative body of the Witbooi Nama. Our model represents the most comprehensive visual reconstruction of the Witbooi settlement to date.

    Architecture of the Settlement

    Houses in Hornkranz consisted mostly of round domed huts, between four and five metres in diameter, and constructed with cladding made out of reed mat or a mix of animal dung and clay. Zak explained that these huts would have been constructed on a light foundation made up of the same dung and clay mixture spread on the ground. A central pole would act as the main structural pillar on which the reed mats would rest. According to members of the Witbooi descendants, alongside these huts there would have been other houses built of stone, like that of Hendrik Witbooi. Descendants also explained that houses typically had two entrances opposite one another and positioned on an east-west axis with the main entrance facing east.

    Working with the community descendants and Zak, we used 3D modelling software to reconstruct what a typical family home would have looked like. We were told that outside the houses, many families would have had a round kraal lined with a light wooden fence where they kept smaller livestock. Close to the main entrance, they would also have had a fireplace and a simple wooden rack to hang and dry meat. The main kraal of the settlement was near the chief’s house, where a separate storage hut also stood.

    The light environmental trace of the Nama, the German colonial army’s obliteration of the settlement, the failure of subsequent administrations to engage in preservation efforts, and the conversion of the land into a private farm all make it difficult to locate definitive traces of the layout and location of homes based on what little remains at the modern-day site. Nevertheless, by closely reading the texture of the ground, we found possible traces of cleared, round areas surrounded by larger rocks, and noted areas of sparse vegetation growth, a potential indicator of the impact of the huts’ clay-dung foundations. We marked five possible sites where Witbooi homes might have stood.

    Zak explained that a defensive wall would have flanked the settlement along its more vulnerable northern and eastern fronts. We studied the contours of the landscape to estimate, based on the presence of limited remains, how the wall might have cut through the landscape. We estimate that the eastern wall may have been constructed along the peak of the hill to the settlement’s east, given its optical reach and defensive position.

    Area of Inhabitation

    To estimate the area of inhabitation and the settlement’s population, we studied the remaining ruins of the settlement, the terrain of the landscape, and the land’s geological features.

    Houses, we were told, would have been built on flatter ground. We used a 12.5 metre resolution digital elevation model (DEM) to build the terrain in our 3D model and further analysed it in geographic information system (GIS) software. From the DEM, we extracted the contour lines of the landscape and conducted a slope analysis, which calculates the percentage of slope change in the settlement. Analysis of the contours and the areas of low slope help to define the curvature of the settlement’s inhabitation.
    Contour Analysis - 1 metre contours of the site of Hornkranz derived from a digital elevation model (DEM). (Forensic Architecture/Forensis)

    We then traced and excluded uninhabitable geological features from the area of potential inhabitation, including bodies of water and large embedded rock formations. Together, the land’s features, its topography, and our estimated location of the defensive wall help establish where people may have lived.

    Layout of Hornkranz

    Building on the traces of potential houses we previously identified within the landscape and the descendant’s description of the settlement, we were able to algorithmically model potential layouts of the settlement. We used the 3D procedural modelling software application Houdini to design an algorithm that would generate possible layouts of the settlement according to a set of rules, including our defined area of potential inhabitation and the approximate space each household would need for its family life (which we approximate to be a radius of 10 metres). The rules fed to the algorithm were that the houses had to be at least 20 metres apart, each house was approximately 5 metres in size, and there were sixty houses in total with a deviation of +/- ten houses.

    According to the Hornkranz descendants, there would have been around four to six people per household. With an average of five people per household, we estimate the population to be around 300 people per household.
    Number of inhabitants

    The exact population size of Hornkranz at the time of the attack is not known. Sources provide estimates ranging from 250 up to nearly one thousand inhabitants.

    In addition to the members of the |Khowesin Nama clan, Hendrik Witbooi also gathered followers from other clans at Hornkranz, including the ǀAixaǀaen (Afrikaner Oorlams), ǁKhauǀgoan (Swartbooi Nama), Khaiǁkhaun (Red Nation Nama) and ǂAonin (Topnaar Nama). Indeed, the various Nama subtribes were elastic social entities.

    We estimated the 1893 population of Hornkranz by referencing the reported number of individuals killed and captured. Hendrik Witbooi wrote in his diary that 88 people were killed by the Germans that day, 78 of them women and children and ten of them men, with one hundred women and children captured by German colonial forces. Other sources indicate a similar number of casualties: 85 women and children, and ten men (Missonary Olpp, cited in Steinmetz 2009). Descendant narratives also mention the successful escape of some women and children during the German assault. Assuming that before the attack, women and children totalled at least 178 (according to Hendrik Witbooi’s figures), and that women and children made up around three out of five family members in an average household, we estimate there could have been around sixty households and three hundred people in Hornkranz on the dawn of the German attack.

    https://forensic-architecture.org/investigation/restituting-evidence-genocide-and-reparations-in-german-colon

    #Allemagne #colonialisme #massacre #génocide #Namibie #architecture_forensique #histoire #histoire_coloniale #témoignage #Nama #Hendrik_Witbooi #Witbooi #Curt_von_Francois #Ovaherero #San

    ping @reka

  • Mousson brune – Fascisme et résistances en Inde - La Horde
    https://lahorde.info/Mousson-brune-Fascisme-et-resistances-en-Inde

    Le mensuel #CQFD publie un dossier sur l’Inde fasciste de Modi Le 14 juillet dernier, Emmanuel Macron décerne au Premier ministre indien, Narendra Modi, la Grand-croix de la Légion d’honneur. Pour quel motif officiel ? On ne se rappelle plus trop. N’empêche que l’Inde confirmait quelques jours plus tard l’achat de 26 avions Rafale et de trois sous-marins Scorpène. Fin janvier 2024, c’est #Macron qui participait au jour de la République de l’Inde. Il n’était pas là pour empêcher le départ contraint de Vanessa Dougnac, pigiste du Point et de La Croix, présente depuis 25 ans sur le territoire, mais dont le travail a été jugé « contraire aux intérêts de la souveraineté et de l’intégrité de l’Inde ». Il était là pour sceller une « alliance de défense inédite » avec un régime en train de basculer dans le fascisme.

    « Parler de fascisme, c’est être à la hauteur de la gravité de la situation »
    https://cqfd-journal.org/Parler-de-fascisme-c-est-etre-a-la

    Autrice d’un ouvrage sur la guérilla armée en Inde, l’anthropologue indo-britannique Alpa Shah vient de publier une enquête sur la répression du mouvement social indien. À la veille d’un 3e mandat présidentiel pour Modi, c’est l’occasion de discuter avec elle du basculement de la « plus grande démocratie du monde » vers le #fascisme.

  • Pädagogik : Perfekt normal
    https://www.jungewelt.de/artikel/471659.p%C3%A4dagogik-perfekt-normal.html

    A propos de l’eugénisme dans la pédagogie arrièrrée de Maria Montessori. La pédagogue était proche de Mussolini qui regardait sa méthode comme élément de la création de l’homme fasciste idéal. Ce qu’on nous vend comme méthode Montessori aujourd’hui n’a rien à envier à l’obscurantisme anthroposophe.

    19.3.2024 von Christoph Horst - Eine Studie über Maria Montessori zeigt, wie stark deren Pädagogik von eugenischem und rassistischem Denken geprägt ist

    Maria Montessori wollte »die größtmögliche biologische Perfektion der Rasse« erreichen. Montessori-Kindergarten in Neapel (1930)

    Während von der Waldorfpädagogik als größter Alternative zum öffentlichen Erziehungssystem inzwischen weithin bekannt ist, dass ihre vermeintliche Orientierung am Kind nicht mehr als ein werbendes Schlagwort ist, genießt die Montessori-Pädagogik als ebenfalls breit etablierte pädagogische Alternative einen noch weitgehend guten Ruf. Beide eint, dass Kinder sich in ihrer Erziehungsideologie einem Plan unterordnen sollen und diese Unterordnung dann als Freiheit ausgegeben wird – bei Waldorf-Begründer Rudolf Steiner unter kosmisch-okkulte Gesetze, bei Maria Montessori unter die biologisch determinierte Macht des Normalen. Zu Montessori jedoch sind die kritischen Auseinandersetzungen nicht so zahlreich wie zur Waldorf-Pädagogik, so dass eine nun erschienene Monographie der Salzburger Erziehungswissenschaftlerin Sabine Seichter sehr hilfreich ist, dem Thema breitere Aufmerksamkeit zu widmen.

    Die Kritik an Montessori, die Seichter zusammenfasst, war bisher nicht unbekannt. Vor allem die vor bereits über 20 Jahren erschienenen Dissertationen der Pädagoginnen Christine Hofer und Hélène Leenders – letztere hat sich ausführlich mit Montessoris Paktieren mit dem italienischen Faschismus befasst – haben kritische Töne in die Diskussion um die Montessori-Pädagogik eingeführt. Die dadurch ausgelösten Debatten fanden allerdings lediglich in einem überschaubaren akademischen Zirkel statt. Einzelne kritische Veröffentlichungen in dezidiert säkularen Medien wurden ebenfalls wenig wahrgenommen. Bei Fachfremden und sogar in den pädagogischen Berufsausbildungen dominieren noch immer Erzählungen von Montessori als verständnisvoller und liebevoller Helferin der Kinder. Daher ist es verdienstvoll, dass Seichter nun mit einem Titel, der das Potential hat, ein größeres Publikum anzusprechen, ausbreitet, was man auch bei Montessori in den Originaltexten lesen kann.

    Angriffsflächen bietet Maria Montessoris Pädagogik zuhauf, denn das konkrete, individuelle Kind mit seinem jeweiligen Fühlen und Erleben ist ihr vollkommen egal. Wichtig ist für sie nur das abstrakte Kind, das Kind an sich als Träger eines kosmischen, über die Gene determinierenden Plans für die »Rasse«, der sich ungestört in ihm entwickeln soll. Wie in der Reformpädagogik üblich, wird das Kind als Träger einer neuen Zukunft überhöht, bei Montessori sogar zum »Messias« einer neuen Zeit vergöttlicht. Was sie mit ihren Bemühungen gesellschaftspolitisch erreichen wollte, waren »normale« Kinder. Dabei soll der Status der Normalität zugleich einen Optimierungs- und Perfektionierungsprozess durchlaufen.
    Bereitwillig gehorchen

    Der Normalitätsbegriff, der in Montessoris Pädagogik eine so wichtige Rolle spielt, schließt gleichzeitig das Un- oder Anormale kategorisch aus. Hofer formuliert, dass die zugrundeliegenden anthropologischen Vorstellungen »vom einzelnen Individuum abstrahieren und die biologische Norm eines einheitlichen Mittelmaßes anstreben«. Normalität entstehe, so Montessori, »wenn sich die tiefere Natur entwickeln kann und einen Typ hervorbringt, der fast einheitlich und gleichförmig in seinen Charakterzügen ist«. Montessori empfand vor diesem Hintergrund ein Übermaß an Phantasie und Kreativität – auf die sich viele vielleicht sogar gutmeinende Pädagogen in Montessori-Einrichtungen, die sich trotz vorgeschriebener weltanschaulicher Schulung nicht die Mühe einer vertieften Montessori-Lektüre gemacht haben, berufen – sogar als störend: »Wie stolz sind die Eltern und Erzieher auf ein Kind, das eine besonders starke Einbildungskraft besitzt. Sie sehen nicht, dass dies ein Symptom einer ungeordneten Intelligenz ist.« Das höchste Ziel der Normalisation sei das Aufgehen des Kindes in der normalen Welt durch inneres Wollen, durch »freudige(n) Gehorsam«, den Montessori mit der Unterwürfigkeit eines Hundes vergleicht:

    »Der Hund ist begierig darauf, Befehle zu erhalten, und läuft mit vor Freude wedelndem Schwanz, um zu gehorchen. Die dritte Stufe des Gehorsams des Kindes ähnelt diesem Verhalten. Gewiss aber gehorcht es immer mit überraschender Bereitwilligkeit.«

    Dieser Gehorsam wird in Montessori-Einrichtungen hergestellt, einerseits durch die vermeintlich exakt wissenschaftlich hergeleitete Herstellung der nahezu klinischen Umgebungsbedingungen sowie das berühmte Material, das durch seine Beschaffenheit und seine fordernde Omnipräsenz disziplinierend wirken soll, und andererseits durch die Autorität eines sich zwar zurücknehmenden, aber dennoch total herrschenden Lehrers, den das Kind als Führungsfigur zu akzeptieren hat. Dass Kinder spielen, ist dabei nicht vorgesehen. Montessori meinte anlässlich eines Besuchs in einem Kindergarten, dass kindliches Spiel zwar nett anzusehen wäre, aber keinen Nutzen habe. Zweckfreies Tun war ihr suspekt, jeder Moment der kindlichen Entwicklung soll dem pädagogischen Telos geopfert werden. Dem Lehrer fällt dabei die Rolle des dokumentierenden Lenkers zu. Er agiert wie der Versuchsleiter eines Laborexperiments.

    Die Allmacht des Lehrers und die Vereinzelung der Kinder waren auch die Kritikpunkte des Pädagogen John Dewey an Montessori. Er kritisierte die Unmöglichkeit des Montessori-Kindes, in Gemeinschaft lernen zu können und erkannte die Hilflosigkeit des Schülers im System Montessori. Kinder sollen sich nach Montessori nicht nur dem Bestehenden einfach unterordnen, sondern dieses aus tiefster Überzeugung bejahen. Der Begründer der antiautoritären Pädagogik Alexander Sutherland Neill, ein Zeitgenosse Montessoris, formulierte daher treffend, dass Montessori »das Kind dem Apparat anpassen« wolle.

    Am Punkt der Normalitätserwartung setzt auch Seichters Kritik an. Mit dem Instrumentarium Michel Foucaults – hier ausnahmsweise nicht weiter störend – zeigt sie, wie bei Montessori die Zurichtung bzw. sogar Züchtung »normaler« Kinder die Exklusion »anormaler« zwingend voraussetzt. Die stringente Beweisführung blamiert damit auch die pädagogische Praxis, wenn heutige Montessori-Einrichtungen sich besonders inklusiv geben. Wenn sie es sind, dann nicht wegen, sondern trotz der Ideen Maria Montessoris, die die weiße, italienische »Rasse« auf dem Umweg über das Kind zur höchsten Reinheit entwickeln wollte und forderte, dass schon über die Sexualhygiene (selbstverständlich in Verantwortung der Frau!) und strenge, politisch formulierte Fortpflanzungsrichtlinien »moralische und physische Monster« vermieden werden. Dazu maß Montessori, die sich immer wieder positiv auf den Begründer der Eugenik Francis Galton sowie auf den Physiognomiker Cesare Lombroso bezog, in ihrem Hauptwerk »Pädagogische Anthropologie« auch Schädel- und Gesichtsformen und teilte diese in höher- und niederwertige »Rassen« und Klassifikationen ein. Diese eugenischen und biologistischen Denkweisen sind das Fundament der Montessorischen Erziehung.
    Gottes Plan im Kind

    Ihr Konzept kommt dabei trotz eines vermeintlichen Szientismus nicht ohne Mystik aus – was sie auch für die katholische Kirche interessant machte, die allerdings einige Zeit brauchte, um Montessoris Pädagogik ihren Segen als christliche Vorzeigelehre zu geben. Eine angemessene kritische Darstellung der Herkunft Montessoris aus dem Katholizismus und ihrer Beziehungen zur katholischen Kirche steht noch aus. Aber aus ihrer Ergebenheit gegenüber katholischer Kirche und Lehre hat Montessori nie einen Hehl gemacht. Im Gegenteil schrieb sie religions­pädagogische Bücher, in denen sie Anweisungen gab, wie man Kinder an den richtigen Umgang mit Hostien, Heiligen, dem Abendmahl etc. heranführen soll. In »Kinder, die in der Kirche leben« erklärt sie auch ihre Überhöhung des Kindes christlich: »Wenn wir Christus und den Vater im Kind sehen, so wird unsere Ehrfurcht gegenüber den Kleinen tief und heilig sein.« Die Allianz zwischen Montessori-Bewegung und katholischer Kirche hält bis heute an. Im Oktober 2021 schickte Papst Franziskus eine Grußbotschaft an einen Montessori-Kongress und rief die Gläubigen dazu auf, sich an der Person Montessori zu orientieren.

    Montessori war der Überzeugung, dass die Entwicklung einer genetisch und »rassisch« bedingten Natur der Vollzug eines von Gott gegebenen kosmischen Plans im Kind sei – in ihren eigenen Worten: »Wenn man die Gesetze der Entwicklung des Kindes entdeckt, so entdeckt man den Geist und die Weisheit Gottes, der im Kind wirkt.«

    An diesem Punkt kommt die von heutigen Montessori-Pädagogen gelobte Freiheit ins Spiel. Das Kind sei frei, diesen im Moment der Zeugung eingepflanzten kosmischen Plan ohne eingreifende Störung durch den Erwachsenen entwickeln zu dürfen – aber nur, wenn das Kind sich in das Montessori-Schema füge: »Dem Kind seinen Willen lassen, das seinen Willen nicht entwickelt hat, heißt den Sinn der Freiheit verraten.« »Vom Kinde aus« könne also nur zugestanden werden, wenn der mächtige Lehrer es für richtig halte, dessen Hauptaufgabe in Montessoris Musterschule »Casa dei Bambini« (das ursprünglich passender »Labor für das Studium der kindlichen Entwicklung« heißen sollte) jedoch zum einen die Herstellung disziplinierter Ruhe war und zum anderen die positivistische Messung von Kinderkörpern und ihren Leistungen zur Auffindung und Aussonderung von Anormalität

    Im quantifizierenden Vermessen der Kinder ist Montessoris Herkunft aus der Naturwissenschaft, zeitgemäß geprägt von sozial missgedeuteter Evolutionstheorie, ablesbar. Nicht umsonst stellt Seichter ihrem Buch ein Zitat Montessoris voraus, in dem diese die Bezeichnung »Pädagogin« zurückweist. Auch der Montessori-Kenner und langjährige Präsident der Deutschen Montessori-Gesellschaft Winfried Böhm stellt sie in seiner populären »Geschichte der Pädagogik« als Evolutionsbiologin und Anthropologin vor und widmet ihr im übrigen nur wenige Zeilen. Montessori sah sich primär als naturwissenschaftlich an (!) den Kindern arbeitende Ärztin mit dem Auftrag, an der Schaffung einer körperlich und moralisch höherwertigen »Rasse« mitzuwirken bzw. in ihren Worten, damit »die größtmögliche biologische Perfektion der Rasse erreicht« werden könne.

    Prominent in ihrem Hauptwerk plaziert erklärt Montessori den ästhetisierten Körper des Menschen zum »rassischen« Ideal: »Die triumphierende Rasse, d. h. diejenige, die nicht zugelassen hat, dass das Territorium ihres Reiches oder der Fortschritt ihrer Kultur begrenzt werden, besteht aus weißen Menschen, deren Staturtyp mesatiskel ist, d. h. eine Harmonie der Formen bei allen Teilen des Körpers aufweist.« Die harmoniefördernde, vermeintlich sanfte Lenkung des Lehrers als starke Aufforderung zur Selbstlenkung entstehe überwiegend durch die Herstellung der Umgebung, »die den natürlichen seelischen Offenbarungen günstig ist«.

    Während ein Kind in einem öffentlichen Kindergarten vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten hat, ist ein Kind an einer Montessori-Einrichtung frei, sich Montessori-Spielzeug auszusuchen. William H. Kilpatrick, der amerikanische Pädagoge des Pragmatismus, benannte schon 1914 in höflichen Worten, dass es sich dabei um langweilige Dinge handle: »Der so enge und begrenzte Rahmen der didaktischen Materialien kann das normale Kind nicht lange befriedigen. (…) Die Phantasie, ob sie sich im konstruktiven Spiel betätigt oder mehr ästhe­tischer Art ist, wird nur wenig eingesetzt.« Dieses innerhalb der Montessori-Szene völlig überschätzte Arbeitsmittel, das in Bezug auf moderne kindliche Experimentier- und Erfahrungsangebote eher konventionell wirkt, ist so hergestellt, dass die Kinder in klar abgegrenzten Entwicklungsphasen ihnen jeweils entsprechendes Material angeboten bekommen. Und dies streng innerhalb der Altersgrenzen. Kinder, die sich für Spielzeug außerhalb der vorgesehenen, »normalen« Phasen interessierten, waren Montessori suspekt wie jedes andere Verhalten, das auf Individualität hinwies. Ihr aus der Botanik abgeschriebenes Phasenmodell ist starr und alles andere als individuell. Die zugrundeliegenden entwicklungspädagogischen Ideen entstammen dem 19. Jahrhundert und wurden bis heute von ihren Anhängern nicht aktualisiert.

    Von Mussolini gefördert

    Ohnehin hat sich die Montessori-Bewegung mit Verweis auf die Gründungsfigur kaum weiterentwickelt und aus der akademischen Pädagogik nahezu verabschiedet. Heutige Werbung für Montessori-Einrichtungen verweist eher auf anekdotisches Erfahrungswissen als auf die tatsächlich zugrundeliegende Ideologie. Doch nicht nur heutige Montessori-Pädagogen tun sich schwer mit einem Blick auf die Wissenschaft. Schon Montessori selbst hatte zu ihr ein ambivalentes Verhältnis und bemühte lieber »geheimnisvolle und verborgene Quellen«, wenn sie einen »göttlich eingepflanzten Lebensdrang« behauptete: »Wir versuchen nicht, diese geheimnisvollen Kräfte zu ergründen, sondern wir achten sie als Geheimnis im Kind, das nur ihm alleine gehört.«

    Diesen religiös-irrationalen Aspekt Montessoris, der durchaus in einem gewissen Widerspruch zu anderen Teilen ihres Werks steht, stellt Seichter ein wenig zurück, um sie deutlicher als positivistische Menschenbildnerin zeigen zu können. Mit ihrem Bildungsverständnis, nach dem jedes Kind auf seinen vorgegebenen Platz in der Gesellschaft vorbereitet werde, konnte Montessori gut bei den italienischen Faschisten andocken. Benito Mussolini, selbst gelernter Grundschullehrer, wurde schon 1926 Ehrenpräsident der italienischen Montessori-Vereinigung und verstand sich immer als ihr Förderer. Ab 1927 propagierte das italienische Erziehungsministerium die Montessori-Methode als genuin faschistisch. Die pädagogische Historiographie steht auf dem Standpunkt, dass Montessori sich an die Faschisten anbiederte, diese aber ein eher instrumentelles Verhältnis zu ihr hatten und sich ihrer daher entledigten, als sie nicht mehr benötigt wurde, weil faschistische Pädagogen eine eigene idealistische Methode ausgearbeitet hätten. Mussolini war an Montessori nicht nur als Vertreterin einer »reinen« Erziehungslehre interessiert, sondern wollte sie auch als Koryphäe italienischer Geistesgröße präsentieren und nutzen. Montessori und auch ihr Sohn und späterer Mitarbeiter und Vermächtnisverwalter Mario, den sie zugunsten ihrer Karriere nicht selbst erzogen hat, waren Machtmenschen mit einem starken Willen zur weltweiten Durchsetzung ihrer Methode. Montessori diente sich den Faschisten sogar soweit an, dass sie neue Auflagen ihrer frühen Werke in ein faschistisches Vokabular umschrieb. Noch 1945 lobte sie Mussolini und sogar Adolf Hitler für deren pädagogischen Programme, weil beide so früh und so total auf das Kind zugriffen.

    Besonders die Eugenik verband Montessori und die Faschisten. Die Bemühung um die Reinheit und Höherentwicklung der exklusiven (Volks-)Gemeinschaft und die Ideologie vom Recht auf Weiterentwicklung nur für das Schöne und Starke sind die zentralen Schnittstellen montessorischen und faschistischen Denkens. Montessoris Behauptung, dass die kriminelle Laufbahn eines Kindes vom kosmischen Plan im Moment der Zeugung vorherbestimmt sei, liest sich wie eine Begründung für die Zwangssterilisationen im Nazifaschismus. Bei den italienischen Faschisten lief sie offene Türen ein mit der Forderung, dass »die Kriminellen, die Schwachsinnigen, die Epileptiker, dieser ganze menschliche Ballast, gar nicht erst entstehen« sollten.

    Seichter weist in ihrem Text ausführlich darauf hin, dass Montessori mit ihren eugenischen Ansichten in der Pädagogik nicht alleine steht. Unter anderem zeigt sie, wie Montessori von der schwedischen Schriftstellerin Ellen Key (1849–1926) beeinflusst wurde, die ebenfalls bis heute als den Kindern besonders zugewandt angesehen wird. Ihr viel rezipiertes Werk »Das Jahrhundert des Kindes« von 1900 holte die romantische Verklärung der Kindheit in die Pädagogik. Letztlich zielte aber auch Key nur am konkreten Kind vorbei auf eine »biologisch reine ›Rasse‹« über das vermeintliche Heilmittel der Erziehung. Seichter betrachtet dazu noch sehr genau Montessoris in die Gegenwart geworfenen »Schatten«, also die heutigen medizinischen Möglichkeiten pränatalen Modifizierens, aber auch neoliberale Methoden der lebenslangen Selbstvermessung und -optimierung.
    Zutiefst reaktionär

    Um einem berühmten Denkfehler zuvorzukommen: Die Kritik Montessoris oder auch eingangs Steiners bedeutet selbstverständlich nicht automatisch, dass andere pädagogische Entwürfe im simplen Umkehrschluss besser wären – auch heutige Montessori-Einrichtungen verweisen auf Probleme öffentlicher Bildung, als wären diese fern jeder Logik ein Argument für ihre Alternative. Es zeigt sich aber bei Montessori besonders gut die grundlegende Tendenz erzieherischen Denkens, das Kind einem pädagogischen Telos unterzuordnen. Und wenn diese Gerichtetheit auf eine zutiefst reaktionäre Ideologie verweist, besteht dringender Aufklärungsbedarf. Dies um so mehr, da, wenn Montessori in der Öffentlichkeit behandelt wird, kaum je über ihre eugenisch-»rassischen« Ideale gesprochen wird. Mario Montessori hatte durch unermüdliche Arbeit einen großen Anteil daran, dass seine Mutter fast ausschließlich wahrgenommen wird, wie er sie sah: »Wenn ich zurückblicke, erscheint es mir fast unglaublich, wieviel sie geleistet hat (…) als geniale Pädagogin.« Aber zur Wahrheit über die Begründerin so vieler bunt angemalter Kindergärten und Schulen gehört, wie gezeigt, eben auch, dass sie den Kern ihres Denkens prägnant auf eine Formel gebracht hat, die die Stigmatisierung von Andersartigkeit mythologisch begründet:

    »(…) die realen Menschen entwickeln sich zu unterschiedlichen Typen, die mehr oder weniger entfernt von den Idealen sind, so dass sie nicht die von der Natur bestimmten Rassetypen sind, sondern Typen von Deviation und Entwicklungsstillstand oder von anormalem Wachstum, und sie sind durch unsere gesellschaftlichen Fehler dazu geworden. Somit ist das zentrale Objekt der pädagogischen Anthropologie die normale Vollendung der Schöpfung.«

    Je mehr der Name Maria Montessori – von frühen Anhängern unterwürfig »Dottoressa« genannt – von den heutigen Einrichtungen nur noch als inhaltslose Werbeformel genutzt wird, desto besser für die dort betreuten Kinder.

    Sabine Seichter: Der lange Schatten Maria Montessoris. Der Traum vom perfekten Kind. Beltz-Verlag: Weinheim/Basel 2024, 195 S., 29 Euro

    Hélène Leenders: Der Fall Montessori. Die Geschichte einer reformpädagogischen Erziehungskonzeption im italienischen Faschismus. Klinkhardt-Verlag: Bad Heilbrunn 2001, 316 S., nur noch antiquarisch erhältlich.

    Die Schriften Maria Montessoris sind auf deutsch im katholischen Herder-Verlag erschienen und in jeder Hochschulbibliothek mit pädagogischen Studiengängen vorrätig.

    Christoph Horst ist Sozialarbeiter und Fachjournalist.

    #pédagogie #fascisme

  • Votre victoire n’est pas la nôtre, par Elisa Rojas | auxmarchesdupalais
    https://auxmarchesdupalais.wordpress.com/2024/03/01/votre-victoire-nest-pas-la-notre
    https://auxmarchesdupalais.files.wordpress.com/2024/03/16dowd1-superjumbo.webp

    Nous sommes en train de #crever de peur et de crever tout court. De crever du Covid [4], de crever de l’absence soin, de l’absence de soutien, de crever de l’effondrement de tous les services publics, de crever de la perte de nos emplois, de crever de nos conditions de travail, de crever des violences institutionnelles (médicales, policières, scolaires), de crever parfois même de faim, de froid. Bref, de crever du #fascisme rampant avec lequel vous débattez de façon civilisée en buvant le thé.

    Nous sommes en train de crever. Brutalement ou à petit feu, pour les plus chanceuses d’entre nous, mais de crever quand même.

    Notre #anéantissement a été programmé par ce gouvernement, allié objectif de l’extrême droite, nous le savons. Notre quotidien consiste à essayer de le reporter, si possible, au moins jusqu’à demain. A essayer d’alerter aussi, pour celles et ceux à qui il reste un souffle de vie et d’énergie, sur l’urgence qui est la nôtre.

  • Italy’s Far-Right Government Is Relitigating World War II
    https://jacobin.com/2024/02/meloni-foibe-fascism-world-war-ii

    L’Italie ériges des monuments pour les fascistes italiens exécutés et tués pendant les derniers combats avec les partisans yougoslaves .

    10.2.2024 by DAVID BRODER - Far-right Italian premier Giorgia Meloni likes to claim her party has “left fascism in the past.” Yet the announcement of a new museum honoring Italian victims of Yugoslav partisans represents a disturbing attempt to rewrite the history of World War II.

    The foibe are, most literally, sinkholes. Often hundreds of meters deep, these shafts pockmark the borderlands between Italy and the former Yugoslavia. For centuries, the foibe in these provinces, known as the Julian March, were used to dispose of waste. In two World Wars, they filled up with destroyed equipment and dead horses — but also human bodies. Today, the word foibe is most habitually used to evoke murdered Italians thrown into these shafts.

    February 10 is the anniversary of the Allies’ 1947 Paris peace treaty with Italy, which had to hand these border territories to Yugoslavia, after Fascism’s failed attempt to dismember that country. Since 2005, this date has also been an official Remembrance Day marked by the Italian Republic. Each February 10, institutional figures and memorial groups meet at the foiba in Basovizza, just outside Trieste, to honor Italians killed by Yugoslav partisans, as well as those who left Yugoslav-annexed areas over the following decade.

    After rising historical research starting in the 1980s, in recent decades the foibe killings have become a central focus of Italian public debate. The dissolution of the Italian Communist Party in 1991, the rise of Berlusconian right-wing politics, but also the breakup of Yugoslavia, all troubled antifascist narratives and fed a rival focus on “the defeated,” whose side of the story was exalted in schlocky but mass-market pop-history books. Last week, Giorgia Meloni’s government announced the foundation of a new, public-funded museum in Rome, honoring foibe victims’ memory.

    This is outwardly about balancing the record — challenging a supposedly monolithic and one-sided anti-fascist “vulgate” of Italy’s past. Press agency ANSA (Agenzia Nazionale Stampa Associata) reports that the museum will recognize a story of “ethnic cleansing” against Italians, a “tragedy . . . swept under the carpet by anti-Fascists in the postwar years.” But to understand what’s happening, we also ought to know that this past isn’t only just being rediscovered. Rather, a highly selective version of the foibe story is an old battle horse of World War II revisionism, rising over the decades from a subculture to a dominant narrative.

    Snapshot of Reality

    All public institutions choose to honor some people over others: to take some for heroes, others for victims, and some of the dead generations as best ignored. Just as Confederate statues are not a residue of the Civil War itself but largely a product of the Jim Crow era or resistance against civil rights, the public commemoration of World War II is also deeply shaped by latter-day politics. It rarely conforms to some abstract idea of the historical record or scholarly research.

    This is quite evident in modern Italian right-wingers’ way of talking about their own Lost Cause. As scholar Eric Gobetti suggests, a narrow focus on Italian victims of Yugoslav partisans is overshadowing Fascist Italy’s own role in bringing violence to this region. Gobetti moreover notes that foibe victims — Italians supposedly targeted by “ethnic cleansing” — were far fewer in number than the Italians who died in Yugoslavia as anti-fascists fighting alongside Josip Broz Tito’s partisans.

    Gobetti’s book E allora le foibe? tells us that national strife didn’t begin in 1945 but had already spiked after World War I, as nation-states divided territories hitherto under Austro-Hungarian rule. If back then the region’s biggest city, Trieste, had a two-thirds Italian-speaking majority, the hinterland was much more diverse, and Italian state power and the Italian language had to be imposed by force. This struggle made the region an early center of Fascist street violence, even before the Fascists took over government in late 1922.

    In 1941, Benito Mussolini’s regime went further, invading Yugoslavia as an ally of Nazi Germany. The Axis powers and their local collaborators captured large swaths of Balkan territory, cementing their control through mass deportations, reprisals, and anti-insurgency operations. In total, the war and occupation killed one million Yugoslavs, including in Italian army atrocities like the Podhum massacre. But Mussolini’s empire didn’t last — and the Yugoslav partisans, led by Tito’s Communists, eventually beat the Italian Fascist forces back across the prewar border.

    Italy’s military collapse in autumn 1943 and — after a period of direct Nazi German rule — the Yugoslav partisans’ eventual victory in spring 1945 were each followed by waves of violence. These are the moments that foibe Remembrance Day focuses upon. The crumbing of the Italian state in its borderlands fueled widespread social violence, from peasant uprisings to more individual score settling — but also more targeted repression by the new Yugoslav Communist authorities.

    Raoul Pupo, the best-known scholar of this history, estimates that as many as five thousand Italians were killed in these two moments, most of them in the second phase in 1945. Other historians reach lower totals, in particular those who rely on lists of known victims; right-wing politicians venture much higher figures, without evidence. Yet more controversial is their honoring of the dead as “martyrs.”

    An Italian Anne Frank?

    Deputy Prime Minister Matteo Salvini has often equated foibe victims and Jews killed in the Holocaust. At several recent commemorations he has repeated that “there are no dead Serie A and dead Serie B,” whether at Auschwitz or in the foibe. Like him, today’s prime minister, Giorgia Meloni, has also often spoken of these Italians as “martyrs.” But it’s not only right-wingers doing this. In 2007, one center-left president denounced a suppressed history of anti-Italian “ethnic cleansing.” An Education Ministry information pack for schools issued in 2022 claimed that Italians were eliminated “just as Jews had been across Europe.”

    Ahead of foibe Remembrance Day 2023, I met historian Pupo in Trieste. In the 1980s a leading Christian Democrat in the city, Pupo reports that the words “ethnic cleansing” became widespread during the 1990s breakup of Yugoslavia but don’t well explain the events of 1943–45. His account pivots on the creation of a new political regime, which crushed domestic opponents as well as representatives of the defeated Italian state power. Tito’s forces executed some tens of thousands of domestic enemies — mostly Nazi collaborationists, monarchist soldiers, and other potential oppositionists. Lists of the Italian dead are patchy, but Fascist party officials, policemen, and landowners count heavily among known victims.

    Despite the widespread language of “ethnic cleansing,” a tiny minority of known foibe victims were women or children. Yet the best known of all victims is Norma Cossetto, upon her death in October 1943 the twenty-three-year-old daughter of a local Fascist leader. Although a member of Fascist student circles she had no important role in the regime, and reports that she was raped before being murdered are widely cited as emblematic of Yugoslav cruelty. In 2019, public broadcaster RAI (Radiotelevisione italiana) screened Red Land, a dramatized account of her final weeks. A graphic novel about Cossetto, from a publisher attached to neofascist group CasaPound, has been widely issued in schools. Some accounts even present Cossetto as an “Italian Anne Frank.” This past November, Arezzo’s town council created a joint tribute to Cossetto and the Jewish teenager, as two symbols of violence against women.

    Such “both-sidesism,” often applying the familiar imagery of the Holocaust to the foibe, is today widespread. Meloni’s Fratelli d’Italia party has called for the existing ban on Holocaust denial to be extended to the foibe. Some regional governments have passed laws against “denialism” or “playing down” the supposed anti-Italian “ethnic cleansing.” While Pupo is among the most dedicated historians of the foibe, in 2019 he was labeled a “minimizer” by the Friuli-Venezia Giulia regional authorities after he coauthored a text that rejected the term “ethnic cleansing.” Even baseless claims and implausible victim counts, challenged by almost all professional historians, risk becoming politically mandated truths.

    Endangered Species

    The government-announced foibe museum in Rome, with €8 million pledged by the Culture Ministry, appears designed to uphold this version of events, centered on the idea that “Italians were killed just for being Italians.” Meloni’s party often critiques left-wing anti-fascism by claiming that it’s time to recognize victims “on both sides.” Yet this equivalence is deeply flawed. The prominence given to the foibe does not correct the historical record or honor the dead in general, but provides nationalists with a sweeping myth of Italian victimhood, which ignores the historical factors behind the killings.

    The February 10 Remembrance Day falls fourteen days after Holocaust Memorial Day, making this fortnight a common battleground over the past. Some town halls jointly commemorate “the martyrs of the foibe and the Holocaust.” Even apart from the offensiveness of the equation between (often Fascist) Italians and Holocaust victims, the pairing of the two also glibly erases other Italian crimes, notably in Yugoslavia itself. As the anniversary of the 1947 Paris peace treaty, February 10 also happens to be the anniversary of Italy finally renouncing its colonial claims in Africa. Yet there is no day to honor the victims of Italian colonialism.

    As I argue in Mussolini’s Grandchildren, this rewriting of history does not center on venerating the Fascist regime or — still less — on reviving historical territorial claims. Rather, the real aim is to erase the residual political legacy of the Resistance and the anti-fascist parties who founded the Republic in 1946. Claiming that militant anti-fascism served as a repressive ideology in postwar decades, Meloni has explicitly compared the reappraisal of foibe history to efforts to draw public attention to members of the neofascist MSI (Movimento Sociale Italiano) killed by leftists in the 1970s.

    This approach habitually cites the need for historical “pacification,” able to integrate Italian victims of all political sides into a single national story. Yet this outwardly benign intention of piety for the dead also suppresses important historical realities. We saw this last March, upon the anniversary of the 1944 massacre at Rome’s Fosse Ardeatine, in which the Nazis and their Italian Fascist helpers murdered 335 political prisoners and Jews, massacred in an anti-partisan reprisal. Prime Minister Meloni sparked controversy by falsely claiming that the 335 were killed “just because they were Italian.”

    Meloni has used this same phrase with regard to foibe victims. Yet the evidence suggests that Fascists and other representatives of Italian political and economic power made up most of the dead. Some seem unembarrassed by this. Before Remembrance Day 2023, a group of relatives and admirers of Nazi collaborationist paramilitary force Decima MAS staged a commemoration in Gorizia. Local officials welcomed them into the municipal buildings. Last month, Roberto Menia, the veteran Fratelli d’Italia senator who sponsored the original foibe Remembrance Day bill, called for plaques to be set for two Fascist senators “murdered by Tito’s partisans” in 1945.

    This isn’t just an Italian story. Across Central and Eastern Europe, Russia’s invasion of Ukraine has fueled battles over the legacy of 1945, in many cases providing an opportunity to polish the image of anti-Soviet nationalists even if they were Nazi collaborators. Italy’s right-wing parties are doing something similar, casting Italians as innocents caught in between Nazis and communists, while soft-pedaling homegrown Fascist crimes.

    This isn’t just about the past. For the focus on Italians as a “victim group” is also well designed to dovetail with more present-day identity politics. Ignazio La Russa, today president of the Senate, marked one recent foibe Remembrance Day tweeting that “the worst racism” is the Left’s “ideological racism against Italians. Yesterday [it was] in favor of Stalin and Tito, today against Italians who want controls on immigration and the Islamic threat.” Mussolini’s heirs surely don’t want to rebuild his empire. But they do want to have Italians recognized as an endangered species.

    #Italie #histoire #fascisme

  •  »Aufstand« oder »Bürgerkrieg« ?
    Der 12. Februar 1934 in der österreichischen Erinnerungspolitik
    https://www.jungewelt.de/artikel/469130.%C3%B6sterreich-1934-aufstand-oder-b%C3%BCrgerkrieg.html

    Une discussion des positions actuelles par rapport au régime austro-fasciste

    12.2.2024 von Winfried R. Garscha - Die Zeiten, in denen in Österreich alle NS-Verbrechen »den Deutschen« zugeschoben wurden, sind endgültig vorbei. Die »Opferthese«, die der österreichischen Zeithistoriker Gerhard Botz einmal die »Lebenslüge« der Zweiten Republik nannte, vermag kaum mehr jemanden aufzuregen. Aber, wie aktuelle Stellungnahmen der letzten Tage zeigen, hat ein anderes Ereignis – der kurze Bürgerkrieg zwischen bewaffneten Formationen der Arbeiterbewegung und den vereinten Kräften von Polizei, Bundesheer und faschistischen »Heimwehren« vor 90 Jahren – durchaus das Potential, nach Jahrzehnten wieder zu einem umkämpften Gegenstand österreichischer Erinnerungspolitik zu werden.

    Vor allem die Vorgeschichte des 12. Februar 1934 lässt erschreckende Parallelen zu Entwicklungen in der Gegenwart erkennen: Statt durch einen offenen Umsturz erfolgte die Ausschaltung der Linken durch eine Regierung, die durch ein Bündnis reaktionärer Strömungen in der führenden konservativen Partei mit Rechtsextremen gebildet worden war. Die bevorzugte Methode war zunächst nicht der Verfassungsbruch, sondern die schrittweise Lahmlegung demokratischer Institutionen unter Anwendung von Geschäftsordnungstricks – sozusagen Scheibchen für Scheibchen, von denen keines für sich allein die große Auseinandersetzung rechtfertigen würde. »Salamitaktik« nannte man das in Österreich.

    In all den Auseinandersetzungen der letzten Jahre über den »österreichischen Anteil« an der Schoah und ganz allgemein über die Rolle der österreichischen Nazis sowohl im »eigenen« Land als auch in den eroberten Gebieten, wurde der österreichischen Diktatur, die der Annexion an Hitlerdeutschland im März 1938 voranging, lange Zeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Nur in der Frage, ob diese Diktatur als »Austrofaschismus« bezeichnet werden darf, oder doch eher eine »Kanzlerdiktatur« oder überhaupt keine Diktatur, sondern ein »Ständestaat« war, gerieten nicht nur die politischen Parteien, sondern auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aneinander. Auch der im Juli 1934 von Naziputschisten ermordete Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, der 1933 Parlament und Verfassungsgerichtshof ausgeschaltet hatte, und sein Nachfolger Kurt Schuschnigg, der im März 1938 vor Hitler kapituliert hatte, mussten als Namensgeber herhalten: Als »Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur« bezeichnet beispielsweise das in der Wiener Hofburg untergebrachte »Haus der Geschichte Österreich« das autoritäre Regime zwischen 1933 und 1938.

    Faschistisch, halbfaschistisch?
    Vor rund zwanzig Jahren begann eine Diskussion in den Zeit-, Rechts- und Sozialwissenschaften über die Notwendigkeit einer gründlicheren Analyse des politischen Systems des Austrofaschismus, das trotz seiner Kurzlebigkeit in mehreren Aspekten auch nach 1945 noch jahrzehntelang nachwirkte. Abseits parteipolitischer Einflussnahmen war es in dieser akademischen Diskussion möglich, alle Argumente für und gegen eine Definition der Diktatur als »faschistisch« oder »halbfaschistisch« abzuwägen. Dabei ging es immer auch darum, den Unterschied zum deutschen oder italienischen Faschismus herauszuarbeiten. Für österreichische Konservative, die sich ab 1938 in deutschen Konzentrationslagern wiederfanden, war das immer auch eine Frage der persönlichen Ehre – man wollte nicht mit den Nazis in einen Topf geworfen werden.

    Einigkeit herrschte in der Wissenschaft hinsichtlich der Schwäche des Regimes, das nur bei der katholischen Bauernschaft und bei Beamten über eine einigermaßen solide Massenbasis verfügte, wobei für Beamte die Mitgliedschaft in der Einheitspartei »Vaterländische Front« verpflichtend war. Da die katholisch-faschistische Regierungskoalition sich nur auf ein schwaches Drittel der Bevölkerung stützen konnte, regierte sie mit Notverordnungen. In Untergrundgruppen organisierten sich auf der Linken jeweils rund 16.000 Mitglieder der Revolutionären Sozialisten (die Nachfolgepartei der Sozialdemokratie) und der KPÖ (die durch Übertritte enttäuschter Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ihre Mitgliederzahl vervierfacht hatte) und auf der Rechten 70.000 Anhänger des österreichischen Ablegers der NSDAP. Außenpolitisch war das Regime auf die Unterstützung des faschistischen Italiens angewiesen. Nach Bildung der »Achse« zwischen Berlin und Rom 1936 versuchte die Wiener Regierung zwei Jahre lang, sich mit Hitlerdeutschland zu arrangieren und musste tatenlos zusehen, wie die Nazipartei im eigenen Land immer stärker wurde – Ende 1937 zählte der »Reichsschatzmeister« schon 105.000 illegale Mitglieder in Österreich, darunter eine wachsende Zahl beim Bundesheer, bei der Polizei und der Gendarmerie.

    Die zweifellos wichtigste Untersuchung zum Thema ist die von dem Wiener Politikwissenschaftler Emmerich Tálos 2013 vorgelegte umfangreiche Studie »Das austrofaschistische Herrschaftssystem. Österreich 1933–1938«. Die Arbeit wurde relativ breit rezipiert, doch in erster Linie durch die Brille der Auseinandersetzung um den Begriff »Austrofaschismus«. Weniger beachtet wurde Tálos’ Widerlegung der bis heute von konservativer Seite kolportierten Behauptung, Dollfuß und Schuschnigg hätten mit ihrem »Ständestaat« in erster Linie ein Bollwerk gegen die Bedrohung durch Nazideutschland errichten wollen. Tálos zeigt an zahlreichen Beispielen, dass die Austrofaschisten eine politische Agenda verfolgten, die sich bezüglich der Herrschaftsmechanismen am italienischen Faschismus orientierte, die Zerschlagung der Arbeiterbewegung bezweckte und die Rückkehr zu vormodernen gesellschaftlichen Zuständen mit der katholischen Kirche als wichtigstem gesellschaftlichem Ordnungsfaktor anstrebte.

    Beginn der Kämpfe

    Ereignisgeschichtlich sind die Kämpfe im Februar 1934 in Publikationen, die 1974 und 1984, jeweils zu den Jahrestagen erschienen, einigermaßen gründlich untersucht. Bekannt ist auch, wer kämpfte: auf seiten der Aufständischen in erster Linie Männer des seit 31. März 1933 in die Illegalität gedrängten Republikanischen Schutzbundes, einer 1923 gegründeten paramilitärischen Formation der Sozialdemokratie, die die Republik gegen Angriffe der faschistischen Heimwehren nach dem Muster von Mussolinis »Marsch auf Rom« schützen sollte. Kommunisten wurden am Mitmachen gehindert, leisteten aber – ebenso wie mehrere Frauen – wichtige Dienste bei der Kommunikation zwischen den Kampfplätzen sowie der Herstellung von Flugblättern, bei der Versorgung von Verwundeten und ab dem letzten Tag der Kämpfe auch bei der Flucht über die tschechische Grenze. Auf Regierungsseite standen Bundesheer und Polizei. Die »Heimwehren« waren aus militärischer Sicht eine vernachlässigbare Größe, taten sich aber mit Brutalitäten an gefangenen Schutzbündlern hervor.

    Die Kämpfe begannen am Montag, den 12. Februar, um 7 Uhr in Linz an der Donau mit dem Überfall der Polizei auf das »Hotel Schiff«, die Zentrale der oberösterreichischen SP. Der oberösterreichische Parteisekretär Richard Bernaschek hatte am Sonntag mit Vertretern der Landesparteileitung vereinbart, dass eine neuerliche, als »Waffensuche« getarnte Demolierung eines sozialdemokratischen Parteiheimes mit bewaffneter Gegenwehr beantwortet werde – und den Parteivorstand in Wien durch Boten darüber in Kenntnis gesetzt. Die telefonisch durchgegebene Warnung vor einem Losschlagen wurde von der Polizei abgehört, die daraufhin beschloss, die Parteizentrale im »Hotel Schiff« anzugreifen. Der Wiener »Heimwehr«-Führer Vizekanzler Emil Fey verkündete derweil bei einem sonntäglichen Faschistenaufmarsch im niederösterreichischen Gänserndorf: »Wir werden morgen an die Arbeit gehen, und wir werden ganze Arbeit leisten!« Bernaschek gelang es noch, telefonische Anordnungen für die voraussichtlichen Brennpunkte der Kämpfe außerhalb von Linz – die Industriestadt Steyr und das Kohlerevier im Hausruck – durchzugeben und Wien zu benachrichtigen. Um 11.46 Uhr standen in der Hauptstadt mit einem Ruck alle Straßenbahnen still, weil ein Arbeiter in den städtischen Elektrizitätswerken den Hauptschalter umgelegt hatte. Das war das Signal für den Generalstreik, der allerdings selbst in Wien nur lückenhaft durchgeführt wurde, und für die Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes, sich zu den Sammelplätzen zu begeben. Doch nur in wenigen Bezirken Wiens fanden sich dort auch die Parteifunktionäre ein, die über die Lage der Waffenverstecke Bescheid wussten. Brennpunkte der Kämpfe in Wien waren unter anderem im Bezirk Ottakring der große Gemeindewohnbau Sandleitenhof und das Arbeiterheim, im Bezirk Döbling der langgestreckte Karl-Marx-Hof, vor allem aber Floridsdorf – der große Arbeiterbezirk am linken Donauufer, wo die Kämpfe am 13. Februar den Höhepunkt erreichten. Hans Hautmann: »Was hier an diesem und am folgenden Tag geschah, gehört zu den hervorragendsten Beispielen in der Geschichte der großen bewaffneten Insurrektionen des internationalen Proletariats.«¹ Hauptkampfgebiete außerhalb Wiens und Oberösterreichs waren die Industriestädte der Obersteiermark und Graz. Im Laufe des 14. und 15. Februars brach der Aufstand zusammen. Die Ursachen hierfür sind vielfältig, die wichtigste ist jedoch, dass die Aufständischen nur vereinzelt Einrichtungen wie Polizeiwachstuben angriffen. Meist verschanzten sie sich in den Gemeindebauten und verteidigten sich gegen Polizei und Bundesheer. Die Schutzbündler mussten die schmerzliche Erfahrung machen, dass, wie Engels in »Revolution und Konterrevolution in Deutschland« schrieb, die »Defensive (…) der Tod jedes bewaffneten Aufstands« ist.

    Brutale Rache

    Die Rache der Sieger war brutal. Das von der Regierung verkündete Standrecht, das die Verhängung von Todesurteilen erlaubte, wurde erst aufgehoben, nachdem der sozialdemokratische Landesparteisekretär der Steiermark, Koloman Wallisch, der in den Kämpfen in Bruck an der Mur eine führende Rolle gespielt hatte, verhaftet werden konnte. Obwohl Wallisch gewählter Abgeordneter zum steiermärkischen Landtag und zum österreichischen Nationalrat war, wurde er zum Tode verurteilt und hingerichtet.

    Finissage, 29. Februar, Guernica-Gaza
    Der »Rechtsprechung« der Sieger hatte der deutsche Politikwissenschaftler Everhard Holtmann schon 1974 auf einer wissenschaftlichen Tagung zum 40. Jahrestag des Februar 1934 die »Bereitschaft, dem Regime bei der gewaltsamen und rechtswidrigen Ausschaltung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung mittels tendenziöser Rechtsprechung zu assistieren« bescheinigt.²

    Erstaunlicherweise war die Geschichtsschreibung jahrzehntelang nur an den neun Hinrichtungen interessiert gewesen; erst 2004 publizierte der heutige österreichische Bildungsminister, der Rechtshistoriker Martin Polaschek, eine umfassende Untersuchung der Standgerichtsbarkeit des Februar 1934. Die Einbeziehung der 14 begnadigten Verurteilten zeigt Ausmaß und Tendenz der Terrorjustiz des angeblich so »gemütlichen« Austrofaschismus.

    Relativ spät widmete sich die akademische Geschichtsschreibung der Frage der Opfer der Februarkämpfe 1934. Während das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes seit den 1990er Jahren die Namen der österreichischen Holocaust­opfer recherchiert und auf dem Denkmal im Wiener Ostarrîchi-Park inzwischen mehr als 64.000 der mutmaßlich 66.500 Ermordeten verzeichnet sind, war die namentliche Erfassung der rund 360 Toten des Februars 1934 (wovon die 112 auf seiten der Regierungskräfte bereits bekannt waren) bis vor wenigen Jahren kein Thema gewesen. Es war wohl das Festhalten an der historischen Legendenbildung in den ersten Wochen nach den Kämpfen über angeblich Tausende Opfer des Bürgerkriegs gewesen, die ein simples Nachzählen der in Archivakten dokumentierten Toten verhindert hatte.

    Sowohl die Forschungsergebnisse zum Austrofaschismus als auch die 2019 als Sensation und »Entzauberung« linker »Mythen« präsentierten tatsächlichen Opferzahlen, die angeblich eine Neubewertung der Februarkämpfe erfordern würden, fanden kurzfristig ihren Weg auch in Zeitungsfeuilletons und soziale Medien. Ihr Einfluss auf die breite Öffentlichkeit und auf die Erinnerungspolitik der politischen Parteien blieb jedoch beschränkt.

    Dollfuß’ Verteidiger

    Das änderte sich 2022. Nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz im Dezember 2021 wurde Innenminister Karl Nehammer Bundeskanzler. Nehammers Nachfolge als Innenminister trat Gerhard Karner an, ein bis dahin wenig bekannter niederösterreichischer Lokalpolitiker, der sich zunächst als Scharfmacher in Asyl- und Migrationsfragen positioniert hatte und bald darauf auch international auffällig wurde, als er namens der österreichischen Regierung den Beitritt von Rumänien und Bulgarien zum Schengen-Raum blockierte.

    Vor seiner Ernennung zum Minister war Karner Bürgermeister in Texingtal gewesen, einem Dorf mit nicht einmal 2.000 Einwohnern und einem kleinen Museum: Hier befindet sich das Geburtshaus von Engelbert Dollfuß, das Familienangehörige mit Unterstützung durch Funktionäre des niederösterreichischen Bauernbunds, einer Teilorganisation der ÖVP, mit diversen Devotionalien gefüllt und 1998 an die Gemeinde verpachtet hatten. Schon viele Jahre bevor Karner Bürgermeister geworden war, hatte die Gemeinde in dem Haus ein – allerdings wenig besuchtes – Museum eingerichtet. Eine Tafel neben dem Eingang ließ keinen Zweifel an der politischen Ausrichtung: »Geburtshaus des großen Bundeskanzlers und Erneuerers Österreichs Dr. Engelbert Dollfuß«. Das Museum wurde zwar Anfang 2022 zugesperrt, doch ließ sich nicht mehr verhindern, dass Innenminister Karner mit der »Huldigungsstätte« für den Diktator identifiziert und damit als Apologet des Austrofaschismus »entlarvt« wurde. Es gab kaum eine Zeitung in Österreich, die nicht darüber berichtete. Es nützte auch nichts, dass ÖVP-Chef Nehammer schon im Dezember 2021 in einem Fernsehinterview nicht nur die »Justizmorde« der Standgerichte »unerträglich« gefunden hatte, sondern auch die Frage, warum er sich so schwertue, das Dollfuß-Regime Austrofaschismus zu nennen, pariert hatte, indem er Austrofaschismus und Austromarxismus in einem Atemzug nannte und meinte, »im Kontext der Zeit« könnte man Dollfuß als »Austrofaschisten« bezeichnen.

    Angesichts des Medienrummels fühlten sich einige Altvordere der Österreichischen Volkspartei verpflichtet, zur Verteidigung auszurücken – aber nicht, um zu betonen, dass die heutige ÖVP nichts mehr mit der Christlichsozialen Partei der Zwischenkriegszeit zu tun habe, sondern um Bundeskanzler Dollfuß als Getriebenen hinzustellen, dem angesichts des Drucks von Mussolini und des Erstarkens der NSDAP bei Landtags- und Gemeinderatswahlen gar nichts anderes übriggeblieben sei, als »autoritär« zu reagieren. Andreas Khol, von den 1970er- bis in die 1990er Jahre Leiter der Parteiakademie und 1999 Architekt der Koalition zwischen Volkspartei und Jörg Haiders »Freiheitlichen«, gab die neue Linie vor (Kurier, 4.2.2024): Früher habe er die Bezeichnung »Bürgerkrieg« für die Februarkämpfe übernommen, das sei auch eine Möglichkeit gewesen, »mit der Linken über dieses Thema ins Gespräch zu kommen«. Doch diese »gemeinsame Gesprächsbasis ist weitgehend verloren gegangen«. Dass Dollfuß das Parlament ausgeschaltet habe, könne man ihm doch nicht vorwerfen. Das »verantwortungslose« Parlamentspräsidium habe im März 1933 den Nationalrat selbst lahmgelegt. Dollfuß hat diese Situation »ausgenutzt«, weil er »ganz offensichtlich« stark unter dem Eindruck der Gemeinderatswahlen in Innsbruck stand: »40 Prozent für die Nationalsozialisten im katholischen Tirol!« Außerdem gab es ringsum in Europa »einen Schwund der Demokratie«, ganz so wie heute. Doch »die Zeit ist längst über diese Dinge hinweggegangen. Wer immer hier noch auf diesem Klavier spielt, macht das nicht in der Absicht des Gedenkens, sondern in der Absicht, die Geschichte als Keule zu verwenden, um dem anderen auf den Schädel zu schlagen.« Gleichzeitig legte Khol Kanzler Nehammer die Bemerkung in den Mund, es sei »egal, ob man das Dollfuß-Regime ›austrofaschistisch‹ nennt oder nicht, es sei jedenfalls abzulehnen«. Und weiter: »Die Historisierung des Februaraufstands ist nur zu erreichen, wenn man auch über Dollfuß größere Klarheit gewinnt – und auch eingesteht, dass es eine Diktatur war.«

    Die Mär von der Mitschuld

    Andreas Khol ist nur die prominenteste Stimme der Konservativen, die das rückgängig zu machen versuchen, was als Ergebnis der erwähnten wissenschaftlichen Untersuchungen auch von ÖVP-Politikern eingestanden worden war: Dass die »Schuld« am Bürgerkrieg des Februar 1934 und der Errichtung der Diktatur eben nicht – wie man es zu Zeiten der Großen Koalition in den 1950er und 1960er Jahren gemacht hatte – gleichmäßig auf Linke und Rechte verteilt werden kann, sondern Ergebnis bewussten Handelns jener war, die in der parlamentarischen Demokratie ein Hindernis für die Erreichung ihrer politischen Ziele sahen. Dieser Backlash hat vor einigen Jahren Unterstützung durch einen Historiker bekommen, dem Khol die Erkenntnis verdankt, dass es kein Bürgerkrieg war: Kurt Bauer, der die Namen der Februaropfer recherchierte, hat 2019 ein Buch mit dem Titel »Der Februaraufstand 1934. Fakten und Mythen« vorgelegt. Khol: »Ich habe da meine Meinung im Lichte der Publikation von Kurt Bauer geändert.«

    Kurt Bauers Buch wurde breit rezipiert und wird auch jetzt, zum 90. Jahrestag der Februarkämpfe, wieder als angeblich objektive Darstellung gelobt und damit zum Teil der Erinnerungspolitik. Dabei verrät schon der Stil der Schilderung der historischen Ereignisse, bei wem die Sympathien des Autors sind und auf welche Quellen er sich vornehmlich stützt. Die Verlegung einer Bundesheer-Einheit ins Hausrucker Kohlerevier liest sich beispielsweise so: »Durch tiefen Schnee kämpften sich die Soldaten über den Berg Richtung Holzleithen.« Ganz anders die Schilderung der Bewegungen der Aufständischen. Der steirische Arbeiterkammersekretär Josef Stanek hatte »einen fatalen Fehler begangen: Er war nicht wie die anderen sozialdemokratischen Funktionäre sofort von der Bildfläche verschwunden, sondern hatte sich stundenlang bei den Aufständischen herumgetrieben.« Die Funktionäre der Arbeiterbewegung lügen, übertreiben maßlos und betreiben Greuelpropaganda. Die Regierung hingegen macht »unkluge« Dinge und ergreift »überzogene« Maßnahmen wie diese »überhasteten, schlampig durchgeführten« Standgerichtsprozesse: »Verurteilte, die möglicherweise durchaus verwerfliche Taten begangen hatten (…), wurden wegen der drakonischen Urteile mit einem Mal zu Märtyrern der Arbeiterbewegung.« Verbrechen der Heimwehr wie die Erschießung von Arbeitersanitätern in Holzleithen im Hausruck werden nicht zur faschistischen politischen Einstellung der Täter in Bezug gesetzt: »Das unbestreitbare Faktum des besonders brutalen Vorgehens der Heimwehren dürfte darauf zurückzuführen sein, dass es sich im Grunde um eine bunt zusammengewürfelte Truppe handelte. Die Heimwehrleute waren schlechter ausgebildet als die Angehörigen der Polizei, Gendarmerie und des Bundesheeres, und in der Regel verhielten sie sich auch wesentlich undisziplinierter.« Zu dieser Verharmlosung passt, dass in Zeitungsartikeln, die sich mit dem bevorstehenden Jahrestag beschäftigen, die »Heimwehren« entweder gar nicht erwähnt werden – oder ihr faschistischer Charakter unterschlagen wird, als ob das irgendwelche Heimatvereine gewesen wären. Auf diese Weise wird aus dem Abwehrkampf gegen die faschistische Machtübernahme eine parteipolitisch motivierte Revolte gegen eine legitime Regierung.

    Dass der versuchte Aufstand nach nicht einmal vier Tagen mit einer kompletten Niederlage endete, führte dazu, dass zu Recht darüber diskutiert wird, ob man die Kämpfe überhaupt als Bürgerkrieg bezeichnen kann. Der rasche Zusammenbruch lag vor allem an zwei Faktoren: dem Fehlen einer einsatzbereiten und fähigen Leitung auf Seiten der Aufständischen und dem Einsatz von Artillerie gegen Wohnhäuser, der die Kämpfenden zur Aufgabe der bedrohten Objekte manchmal schon veranlasste, bevor das Bundesheer den ersten Schuss abgefeuert hatte. Dennoch gaben die Kämpfe in Österreich dem Kampf gegen die faschistische Offensive auch anderswo in Europa neuen Aufschwung.

    Keine kampflose Niederlage

    Dass Dollfuß jeglichen Einfluss der Linken mit Brachialgewalt brechen und ein autoritär-faschistisches Regime errichten wollte, war angesichts der faschistischen Machtübernahme in Deutschland und der aggressiven Außenpolitik der Mussolini-Diktatur keine Kleinigkeit. Es ging schließlich nicht um eine Auseinandersetzung um Details der Budgetpolitik, sondern um Demokratie oder Diktatur, die Aufrechterhaltung eines wenngleich prekären Friedens oder das Taumeln Europas in den nächsten Weltkrieg – mit Österreich an der Seite des faschistischen Italiens. In diesem Abwehrkampf, dessen Erfolg das Gemetzel des Zweiten Weltkrieges und die Schoah verhindern hätte können, brauchte es positive Anknüpfungspunkte. Dass zumindest Teile der österreichischen Arbeiterschaft sich bewaffnet gegen die faschistische Machtübernahme aufzulehnen versuchten, war nach der kampflosen Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung durch die Machtübernahme Hitlers von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

    Eine persönliche Nachbemerkung: Anfang 1984 veröffentlichte der Berliner Dietz-Verlag ein von Hans Hautmann und mir verfasstes Taschenbuch über den Februar 1934 in Österreich. Wenige Wochen später, vom 28. Februar bis 1. März 1984 nahm ich an einer Konferenz in Sellin (Rügen) teil, die sich mit Fragen der Faschismusforschung beschäftigte. In einer Konferenzpause kam ein DDR-Kollege auf mich zu – er hielt das Taschenbuch in der Hand und wollte wissen, ob wir als Autoren denn keine Schwierigkeiten gehabt hätten, den Band im parteieigenen Dietz-Verlag zu veröffentlichen. Denn das Buch könne als versteckte Kritik an der Politik der KPD-Führung in den Tagen der Machtübernahme durch die Nazifaschisten gelesen werden. Schließlich hätten österreichische Sozialdemokraten etwas zustande gebracht, wozu KPD und SPD im Jahr zuvor nicht in der Lage gewesen seien.

    Anmerkungen

    1 Winfried R. Garscha/Hans Hautmann: Februar 1934 in Österreich, Berlin 1984, S. 131

    2 Everhard Holtmann: Politische Tendenzjustiz während des Februaraufstands 1934. In: Das Jahr 1934: 12. Februar, München 1975, S. 49

    Winfried R. Garscha ist Historiker und langjähriger Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands.

    #Autriche #histoire #fascisme

  • Interview de Rony Brauman :

    https://www.francetvinfo.fr/monde/proche-orient/israel-palestine/gaza-les-pays-occidentaux-sont-en-train-de-devenir-activement-complices

    ...

    Les livraisons d’armes, de munitions, continuent à flux tendu.

    Tous les jours, Il y a une sorte de pont aérien entre les États-Unis notamment, mais aussi l’Europe vers Israël, qui permet de tirer des milliers, des milliers et des milliers de missiles, de munitions diverses.

    Il y a quelque chose d’un peu contradictoire à appeler d’un côté à la trêve et de l’autre à continuer à ravitailler en armes et en munitions la partie la plus puissante, celle qui détient tous les leviers pour la décision du lendemain.

    ....

    Je me demande si les Nations unies vont surmonter cette épreuve .

    Ça renvoie un peu à ce qui s’est passé en 1935 après l’invasion de l’Éthiopie par l’Italie fasciste de Mussolini qui a signé la fin de Société des Nations.

    Est-ce que les Nations unies vont survivre à cette épreuve, sachant qu’un organe des Nations unies parle de génocide plausible actuellement perpétré dans la bande de Gaza et que des membres du groupe de membres permanents du Conseil de sécurité continuent de ravitailler la partie qui est exclusivement coupable de génocide.

    #Occident #Abandon-de-l'application-du-Droit #Mise-à-mort-des-Nations-Unies #Israël #Gaza #Fascisme

  • Le néofasciste et ami de Marine Le Pen, Axel Loustau, prestataire de services de la RATP et de la Cité des sciences | StreetPress
    https://www.streetpress.com/sujet/1706627486-neofasciste-ami-marine-le-pen-axel-loustau-prestataire-ratp-

    Astoria Sécurité, entreprise d’Axel Loustau, militant néofasciste et ami de Marine Le Pen bénéficie de juteux contrats avec la RATP et la Cité des sciences, encaissant plus de 25 millions d’euros d’argent public.

    Porte de la Villette, Paris 19e – Un mardi matin à la Cité des Sciences et de l’Industrie, on ne croise guère que des groupes scolaires agités et des agents de sécurité. Des fouilles à l’entrée au contrôle des billets, jusqu’au cœur des expositions, impossible d’échapper à ses hommes et femmes en costume au revers brodé d’un triangle rouge vert et bleu, le logo d’Astoria Sécurité. L’entreprise est, sous différents noms, depuis plus de dix ans, le principal prestataire sur les sujets de sécurité d’Universcience, le gérant de la Cité des Sciences et du Palais de la Découverte. Une activité des plus lucratives : depuis la signature du premier contrat en 2011, la société a encaissé, selon nos calculs, près de 25 millions d’euros d’argent public.

    #Astoria #surveillance #vigiles #GUD #droites_extrêmes #RN

    Quand les délégations de « sévices publiques » engraissent le #fascisme ...

  • Delenda Israelo ?

    Je suis gentil d’accorder à #Israël le statut de #Carthage..

    Il est loin le temps de l’enthousiasme de certain/es à partir au #kibboutz... (il y a 45a / 50a) :-D :-D :-D

    #politique #international #sionisme #fascisme #race_supérieure #histoire #superstition #religion #suprématisme #monde #seenthis #monde

    "La Catapulte, peinture d’Edward Poynter, 1868. Sur la machine de guerre au siège de Carthage à la fin de la troisième guerre punique, les mots de Caton l’Ancien sont gravés : « delend a est Ca rthago » " (source Wiki)

    https://fr.wikipedia.org/wiki/Delenda_Carthago

  • La plainte de l’#Afrique_du_Sud contre #Israël

    "La plainte déposée par l’Afrique du Sud contre l’#Etat d’Israël ne l’accuse pas de #génocide, mais de laisser des éléments de ses forces de sécurité le pratiquer. Elle se fonde sur les intentions énoncées par certains responsables politiques et militaires, sur l’observation des pratiques israéliennes depuis 75 ans vis-à-vis de l’ensemble du #peuple_palestinien et enfin sur la manière dont il se comporte aujourd’hui à #Gaza. (...)

    #politique #international #géopolitique #monde #propagande #fascisme #sioniste #extermination #holocauste #Palestine #seenthis #vangauguin

    https://www.voltairenet.org/article220263.html

  • Panorama des #mesures régissant l’entrée et le séjour des étrangers en #France (1972-2023)

    A l’heure de l’adoption de la révoltante « #loi_Darmanin », le #collectif_Ruptures publie une #recension de toutes les #lois régissant l’entrée et le séjour des étrangers en France. Loi après loi, #décret après décret, dispositif après #dispositif, année après année, ce panorama de la « #gestion_des_flux_migratoires » sur la période 1972-2023 vient compléter la brochure Lois répressives et autres bagatelles (France, 1974-2022) que nous avons édité au printemps.

    Ce tome 2 de Bagatelles est intégralement téléchargeable ici, et son introduction est lisible ci-dessous :
    https://collectifruptures.files.wordpress.com/2024/01/brochure_bagatelles2.pdf?force_download=true

    –---

    Introduction

    Le 27 décembre 2023, Didier Leschi, directeur général de l’Office français de l’immigration et de l’intégration (OFII) s’exprime dans Le monde sur la dernière loi votée huit jours plus tôt.
    Selon lui, « les mesures adoptées en France demeurent plus ouvertes que dans les principaux pays de l’Union européenne », et « la prise en charge de la santé des sans-papiers bien meilleure comparée à l’Allemagne, l’Autriche, la Suède, le Danemark, aux Pays-Bas ou à l’Espagne ».
    On veut bien le croire. Et le remercier de nous confirmer que la montée de la gestion comptable de l’humain et de son traitement comme un simple rouage qu’on peut utiliser ou jeter selon les besoins économiques n’est pas propre à la France. En effet tous les pays cités par le directeur de l’OFII sont gérés depuis des décennies par de « bons pères de familles », tout à fait démocratiques, libéraux et propres sur eux. Remercions donc Didier Leschi pour cet éclaircissement.
    Mais pour mieux comprendre quelles sont ces « mesures », nous proposons ici de prendre un peu de recul historique, à l’échelle des cinquante dernières années.

    C’est pourquoi cette brochure recense l’ensemble des lois migratoires régissant l’entrée et le séjour des étrangers en France mises en place de 1972 à 2023.
    Elle constitue le deuxième volet d’un travail destiné à comprendre la montée d’une société de #surveillance_généralisée, mais sans les oripeaux du #fascisme historique, de façon libérale-autoritaire (1). La première partie, publiée en mai 2023, était consacrée aux lois, #arrêtés et décrets régissants la créations de fichiers informatiques et le travail de la police. Une troisième partie suivra, qui sera une recension de l’inflation technologique qui s’articule avec l’inflation juridique.
    Si le sort des Français et des étrangers est intimement lié, ils subissent un traitement différencié de la part de l’Etat. Nous avons décidé de consacrer une partie spécifique au traitement des étrangers en France pour une raison très pragmatique : la quantité très importante de lois visant spécifiquement l’entrée et le séjour des étrangers en France (d’où l’épaisseur de cette brochure : 128 pages !).

    Pourquoi avons-nous mené un tel travail ? Rappelez-vous l’été 2021 et la mise en place du pass sanitaire. Cette mesure, qui a motivé la création de notre collectif, nous est apparue comme la « goutte de trop ». Il nous a alors paru logique de nous livrer au travail de recension de toutes les gouttes précédentes, afin d’offrir un panorama de l’évolution de la législation et de mettre en perspective historique les mesures sanitaires de 2020-2021. En effet, toute personne qui s’intéresse à la surveillance, au contrôle, à la répression et la limitation de circulation des individus ne peut que constater qu’il est difficile – quasi-impossible – de suivre l’inflation de l’arsenal juridique qui régit les pratiques policières, les fichiers de collecte de données et les lois sur le séjour des étrangers. Dans nos sociétés prétendues « libérales » et « démocratiques », en matière de restriction de libertés et de répression, une loi s’empile sur la précédente, ce qui est annoncé comme un « simple projet » devient souvent rapidement une proposition de loi, puis une réalité juridique… et en route pour la suivante ! Cette brochure se veut donc une mise en perspective historique pour mieux comprendre les lois du présent.
    Précisons que nous ne proposons pas ici d’analyse, ou très peu, mais une simple #chronologie qui permet à chacun et chacune d’avoir accès à ces informations dispersées (2).

    Ruptures
    décembre 2023

    (1) Lire Grégoire Chamayou, La société ingouvernable, La fabrique, 2018.
    (2) Nos analyses sont quant à elles développées dans le journal La nouvelle vague, que nous publions régulièrement depuis décembre 2021. Voir en particulier « Réflexions sur l’autoritarisme et l’extrême-droite » (dans La nouvelle vague n°4).

    https://collectifruptures.wordpress.com/2024/01/01/loi-darmanin-et-avant
    #histoire #lois #dispositions #migrations #asile #réfugiés #séjour #frontières #ressources_pédagogiques #répression #liste

    via @karine4

  • Le #fascisme #libéral / 2000

    "Au #Mexique, la défaite, à l’élection présidentielle du 2 juillet, du candidat du Parti de la révolution institutionnelle (PRI), au pouvoir depuis soixante et onze ans, laisse le pays ébranlé. La victoire de M. Vicente Fox, du Parti d’action nationale (PAN), constitue un véritable séisme. La chute du PRI représente la fin d’un style de pouvoir fondé sur la tricherie et la corruption. Mais le succès du PAN, de tradition ultracatholique et proaméricaine, comme hier, en Autriche, celui du parti de M. Jörg Haider, ou demain, en Italie, celui de M. Silvio Berlusconi allié à M. Gianfranco Fini, marquent l’apparition, à l’échelle internationale, d’une nouvelle droite, contradictoire mélange d’extrême droite et de néolibéralisme. Le sous-commandant Marcos rappelle dans quel contexte — celui de la « globalisation fragmentée » — se produit la naissance de cette nouvelle droite. (...)

    #politique #monde #changement #alternative #mondialisation #diplomatie #société #seenthis #vangauguin

    https://www.monde-diplomatique.fr/2000/08/MARCOS/1936

  • Défilé néofasciste à Rome : derrière les bras tendus, des membres de la « GUD Connection » – Libération
    https://www.liberation.fr/politique/defile-neofasciste-a-rome-derriere-les-bras-tendus-des-membres-de-la-gud-


    Rassemblement néofasciste organisé par CasaPound dans les rues de Rome, dimanche 7 janvier - une autre image que celle de Ration ,qui ne passe pas ici.

    De jeunes Français, certains liés à l’écosystème du Rassemblement national, ont pris part au rassemblement qui a vu des centaines de militants tendre le bras, dimanche dans la capitale italienne.

    Des saluts fascistes en pleine rue. Dimanche 7 janvier à Rome, ils étaient des centaines, peut-être un millier, en rangs d’oignon et vêtus de noir, se tenant en silence devant l’ancien siège du Mouvement social italien (MSI), l’ancien parti #néofasciste disparu en 1995. Soudain, à l’évocation des noms de trois militants décédés, la foule hurle « Presente » en tendant le bras dans une chorégraphie qui rappelle celle des chemises noires de Mussolini. Organisé chaque année par le mouvement CasaPound, des nostalgiques du Duce connus pour leur violence, cet événement est un hommage à deux camarades tombés en 1978 sous des balles attribuées à l’extrême gauche, et au troisième tué par la police dans les émeutes qui ont suivi.

    Ces images saisissantes ont fait le tour du Web lundi. Des internautes ont été choqués par ce rituel de sinistre mémoire, tout autant que par la présence, cette année, de proches de la cheffe du gouvernement italien d’#extrême_droite, Giorgia Meloni, révélée par la presse transalpine. Et notamment du vice-président de la Chambre des députés, Fabio Rampelli. Figure de Fratelli d’Italia, le parti de Meloni, il est venu dimanche serrer des mains au milieu des drapeaux d’organisations radicales.

    Comme chaque année, des Français participaient également à ce pèlerinage fasciste dans la capitale italienne : des membres des pires groupuscules français, mais aussi les gamins de la « GUD Connection », ce petit cercle d’extrême droite radicale lié à Marine Le Pen et au RN, avec qui il est en affaires. Gabriel Loustau, fils d’Axel Loustau, un membre éminent de ce milieu, était de la partie. Longtemps resté discret, le jeune homme fait désormais partie des figures de la mouvance radicale française. Il est également le principal dirigeant déclaré de la Financière Wagram. Détenue par son père, cette société est actionnaire d’e-Politic, une entreprise qui figure parmi les principaux prestataires du RN en matière de communication. Et devrait continuer de l’être cette année à l’occasion de la campagne des européennes, révélait Libé.

    A Rome, Gabriel Loustau a retrouvé Eyquem Pons, ancien cadre de Génération identitaire (dissous en 2021) dont Libé a dévoilé la présence dans une réunion non publique du Rassemblement national de la jeunesse en avril. Etait aussi présente l’une des filles de Frédéric Chatillon, leader historique du GUD, partenaire en affaires d’Axel Loustau et ancien prestataire majeur du Rassemblement national. En mars, l’homme a été condamné à ce titre à trente mois de prison, dont vingt avec sursis, et 250 000 d’amende pour « escroquerie aux dépens de l’Etat ».

    Retrouvailles avec d’autres groupuscules

    Une partie de la « délégation française » a d’ailleurs fait un crochet par le Carré français, un restaurant de Rome dans lequel Chatillon a investi, pour déguster une galette des rois et boire un verre. Notamment des militants nationalistes-révolutionnaires d’Auctorum Versailles et des « féministes » identitaires du collectif Némésis. Après un détour par les locaux de CasaPound, qui fêtait au passage ses vingt ans d’existence, ils ont enfin participé à une petite sauterie fasciste quelques heures plus tard, a pu constater Libé. Ils y ont retrouvé des camarades d’autres groupuscules, notamment des Remparts Lyon et du RED Angers. Ou encore un certain Xavier Maire : ce jeune homme, proche des milieux gudards et auteur d’un recueil de témoignages d’anciens SS, a une Totenkopf, symbole nazi, tatouée sur la poitrine.

    • En Italie, les oppositions somment le gouvernement Meloni de se dissocier d’un rassemblement fasciste
      https://www.lemonde.fr/international/article/2024/01/09/en-italie-les-oppositions-somment-le-gouvernement-meloni-de-se-dissocier-d-u

      Le Parti démocrate et le Mouvement 5 étoiles demandent notamment à la première ministre de condamner l’utilisation publique du salut romain, symbole de la dictature de Mussolini. Un geste que plusieurs dizaines de militants ont fait lors d’une commémoration, dimanche 7 janvier.

      [...]

      La manifestation du 7 janvier, qui se tient toujours sous surveillance policière, relève d’un rituel partagé par les divers groupuscules néofascistes romains. Elle se tient à plusieurs heures d’écart d’un hommage plus institutionnel aux victimes, rendu au même endroit par des personnalités de divers bords politiques. Si la manifestation est passée relativement inaperçue en 2023, l’opposition s’est saisie du rassemblement de cette année, mettant en demeure le gouvernement de le condamner et de se dissocier de son esprit, l’histoire de la famille politique de Mme Meloni étant liée à celle de la droite néofasciste italienne.

      Dépôt d’une plainte

      « Rome du 7 janvier 2024. Et cela ressemble à 1924 », a commenté Elly Schlein, la secrétaire du Parti démocrate (PD, centre gauche), en réaction à la diffusion des images de la foule aux allures paramilitaires qui s’est réunie dimanche. « Ce qui s’est passé est inacceptable. Les organisations néofascistes doivent être dissoutes, comme le prévoit la Constitution », a-t-elle déclaré, reprochant à Giorgia Meloni de garder le silence sur le sujet. Le vice-président de la Chambre des députés Sergio Costa, du Mouvement 5 étoiles (M5S), a pour sa part annoncé le dépôt d’une plainte afin de « déterminer les éventuels délits commis, y compris l’apologie du #fascisme ». Jugeant une affaire distincte datant de 2016, la Cour de cassation italienne doit par ailleurs décider le 18 janvier si le salut romain, fait dans le cadre d’une commémoration, peut constituer un délit.

      Au sein du gouvernement, le vice-président du conseil, Antonio Tajani, de Forza Italia (FI, centre droit), a condamné le rassemblement de dimanche. « Nous sommes antifascistes. Qui a eu [ce] comportement doit être condamné de la part de tous », a-t-il déclaré. Du côté du parti de Giorgia Meloni, Fabio Rampelli, vice-président de la Chambre des députés, a voulu marquer sa distance vis-à-vis de « personnes d’horizons divers, de francs-tireurs, d’organisations extraparlementaires [qui] n’ont rien à voir avec Fratelli d’Italia ». Les commémorations en hommage aux morts du 7 janvier 1978 organisées par le mouvement de jeunesse du parti de Mme Meloni s’étaient tenues le même jour dans un lieu distinct et sans salut romain.

      Mardi, le président du Sénat, Ignazio La Russa, cacique de Fratelli d’Italia, déjà militant au moment de l’attentat de la rue Acca Larenzia, a contesté que le salut fasciste constitue nécessairement un délit, tout en déclarant au Corriere della Sera : « Comme parti, nous sommes étrangers à de telles manifestations. Nous n’avons donc aucune raison de nous en dissocier. » En février 2020, au début de la pandémie, alors qu’il était vice-président du Sénat, M. La Russa avait ironisé dans un tweet prestement retiré en vantant les mérites du salut romain, plus hygiénique, selon lui, que la poignée de main.

  • Être journaliste palestinienne en Israël
    https://www.yaani.fr/post/%C3%AAtre-journaliste-palestinienne-en-isra%C3%ABl

    Hanin Majadli, Palestinienne citoyenne d’Israël, a longtemps exprimé ses opinions sur la politique et la société israéliennes à travers ses réseaux sociaux. Un jour, elle a reçu une proposition du journal israélien Haaretz pour écrire une chronique hebdomadaire partageant son point de vue. Aujourd’hui, elle est également éditorialiste de la version en arabe du seul quotidien de « gauche » du pays. Dans une interview en hébreu accordée à Yaani, elle évoque la situation des citoyen·nes palestinien·nes depuis le 7 octobre, dénonce la propagande des médias israéliens et partage son expérience personnelle en tant que journaliste palestinienne.

    Entretien très intéressant sur la #censure et la #répression qui frappe les citoyens (de seconde zone) palestiniens d’Israël, sur l’#autocensure des journalistes arabes (comme elle) même au sein du Haaretz, pourtant d’un des rares journaux qui parle de ce qui se passe à Gaza et de la régression du débat public en Israël, dont le ton est donné par des médias fascistes. A lire.
    #fascisme

    • Mais la majorité absolue des médias israéliens ignorent effectivement ce qui se passe à Gaza. Qu’est-ce que vous en pensez ?

      C’est lamentable. Je ne trouve rien de positif à dire sur les médias israéliens. Ce sont des médias impliqués dans la propagande, qui sont empoisonnés et qui mettent en danger les citoyens du pays. Ils négligent le principe de base : rendre compte de l’intégralité de la réalité. Il ne s’agit pas de médias, mais plutôt d’un groupe de supporters enthousiastes. Ils considèrent que leur rôle consiste à remonter le moral des gens... Les seules exceptions sont Haaretz, +972, Siha Mekomit (« appel local » en hébreu) et d’autres plateformes alternatives. Les médias principaux parlent comme des fascistes. Ils utilisent un langage fasciste.

      Je me demande comment il est possible qu’ils parlent de l’incitation à la haine contre les Juifs dans le monde, tout en faisant la même chose contre les Palestiniens ! Les médias en Israël font simplement partie de la Hasbara

    • Cette guerre a clairement fait réaliser aux Palestiniens citoyens d’Israël, même à ceux qui n’ont pas de conscience politique ou nationale palestinienne, qu’ils n’ont pas de place dans ce pays.

  • Die faschistische Ideologie des israelischen Staats und der Genozid in Gaza
    https://www.wsws.org/de/articles/2023/12/20/pylj-d20.html

    Diesen Vortrag hielt David North, Leiter der internationalen Redaktion der World Socialist Web Site, am 14. Dezember 2023 an der Humboldt-Universität in Berlin.

    Wer an der Humboldt-Universität ankommt und die Eingangshalle des Gebäudes betritt, erblickt das berühmte Zitat von Marx: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Dieser grundlegende Aufruf von Marx sollte jeden Redner leiten, wenn er vor einer Versammlung spricht. Wie wird das, was er sagt, dazu beitragen, die Welt zu verändern?

    Zunächst möchte ich meinen Genossinnen und Genossen von der deutschen Sektion der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) dafür danken, dass sie mich eingeladen haben, heute Abend an der Humboldt-Universität zu sprechen. Soweit ich weiß, gab es gewisse Probleme bei der Festlegung des Vortragsthemas, und sie wurden darüber informiert, dass der Titel keinen Hinweis auf den derzeitigen Völkermord durch die israelische Regierung in Gaza enthalten darf. Nun, sie haben sich an diese Regel gehalten, und im Titel findet sich kein Hinweis auf dieses immens wichtige Ereignis. Diese offenkundige Einschränkung der Meinungsfreiheit ist Teil der Bestrebungen der deutschen Regierung, der Medien und der unterwürfigen akademischen Einrichtungen, Widerstand gegen die Verbrechen der Netanjahu-Regierung zu unterbinden und zu diskreditieren.

    Nachdem wir uns nun an die Auflagen zum Vortragstitel gehalten haben, werde ich dennoch über die Ereignisse in Gaza sprechen. Wie wäre es möglich, dies nicht zu tun?

    In den letzten zwei Monaten hat die Welt miterlebt, wie die israelische Regierung mit ungeheurer Brutalität Krieg gegen eine wehrlose Bevölkerung führt. Die Zahl der Todesopfer nähert sich der Marke von 20.000 oder hat sie vielleicht schon überschritten. Mehr als die Hälfte der Getöteten sind Frauen und Kinder. Die Gesamtzahl der Opfer beträgt ein Vielfaches dieser Zahl. In den ersten sechs Wochen dieses Krieges hat Israel 22.000 von den Vereinigten Staaten gelieferte Bomben auf Gaza abgeworfen. Das war nur in den ersten sechs Wochen, seitdem ist eine beträchtliche Zeitspanne vergangen. Um eine Vorstellung vom Ausmaß dieses Angriffs zu gewinnen, sollte man bedenken, dass der Gazastreifen insgesamt 365 Quadratkilometer groß ist, also weniger als die Hälfte der Fläche Berlins (891,3 Quadratkilometer).
    Aufsteigender Rauch nach einem israelischen Bombardement im Gazastreifen, 16. Dezember 2023 [AP Photo/Ariel Schalit]

    Die israelischen Streitkräfte verschonen keinen Teil des Gazastreifens und keinen Teil seiner Bevölkerung. Krankenhäuser, Schulen, Bibliotheken, Flüchtlingslager und andere öffentliche Gebäude werden bombardiert. Journalisten, Ärzte, Lehrer, Schriftsteller und Künstler werden gezielt ins Visier genommen. Der Mord an dem Dichter Refaat Al-Ar’eer ist nur das bekannteste Beispiel für die Tötungen, die auf Geheiß der israelischen Regierung verübt werden.

    Dieses Gemetzel muss gestoppt werden. Und alle, die für die Verbrechen gegen die Bevölkerung im Gazastreifen und gegen die gesamte palästinensische Bevölkerung, die unter der Besatzung lebt, verantwortlich sind, müssen gemäß den in den Nürnberger Prozessen von 1945–1946 aufgestellten Grundsätzen in vollem Umfang zur Rechenschaft gezogen werden. Und wenn es dabei nach mir ginge, würden sie die gleichen Strafen erhalten.

    Die Einschränkung für den Titel dieses Vortrags enthält ein Element der Ironie. Vor fast genau zehn Jahren, im Februar 2014, wurde ich von Sicherheitskräften daran gehindert, an einem Kolloquium teilzunehmen, auf dem der Geschichtsprofessor Jörg Baberowski hier an der Humboldt-Universität eine neue Biografie über Leo Trotzki vorstellen wollte, die Professor Robert Service von der Universität Oxford verfasst hatte. In der Einladung zu der öffentlichen Veranstaltung hieß es, dass Service die Fragen der Teilnehmer beantworten werde.
    Baberowski (olivfarbene Jacke, Hintergrund) und seine Sicherheitsleute versperren David North 2014 den Zutritt zu einem Kolloquium

    Services Trotzki-Biografie ist eine schamlose Geschichtsfälschung. Die Verleumdungen gegen Trotzki darin sind so eklatant, dass führende deutsche Historiker öffentlich dagegen protestierten, weshalb die deutsche Ausgabe erst mit einem Jahr Verzögerung erscheinen konnte.

    Einer meiner Einwände gegen Services Biografie, die ich in mehreren Rezensionen detailliert dargelegt habe, bezog sich auf die antisemitischen Stereotypen, deren sich der britische Historiker in seiner Denunziation von Trotzki ausdrücklich bediente. Dazu gehörten unter anderem Anspielungen auf die Form von Trotzkis Nase und die Änderung seines russischen Vornamens von „Lew“ in „Leiba“ – eine jiddische Variante, die ausschließlich von antisemitischen Feinden des jüdischstämmigen Trotzki verwendet wurde.

    Wie sich bald herausstellte, beruhte das Bündnis der Professoren Baberowski und Service auf einer gemeinsamen antikommunistischen Agenda. Genau an dem Tag, an dem ich von dem Kolloquium an der Humboldt-Universität ausgeschlossen wurde, brachte Der Spiegel in seiner neuesten Ausgabe einen langen Essay, in dem die Verbrechen der Nazis mit dem Argument gerechtfertigt wurden, dass Hitlers Politik eine legitime Antwort auf die „Barbarei“ der bolschewistischen Revolution gewesen sei.

    Neben anderen Interviewpartnern zitierte der Spiegel in diesem Beitrag auch Baberowski, der erklärte: „Hitler war kein Psychopath, er war nicht grausam. Er wollte nicht, dass an seinem Tisch über die Judenvernichtung geredet wird.“[1] Im Weiteren verteidigte Baberowski die nazifreundlichen Ansichten des inzwischen verstorbenen Professors Ernst Nolte, der damals Deutschlands führender Hitler-Apologet war.

    Während die Studierenden der Humboldt-Universität über die Aussagen im Spiegel entsetzt waren, stellten sich die Verwaltung der Humboldt-Universität und die Medien hinter Baberowski. Dies änderte sich auch nicht, nachdem ein deutsches Gericht entschieden hatte, dass Baberowski als Rechtsextremist bezeichnet werden darf. Baberowski genoss und genießt die uneingeschränkte Rückendeckung der Humboldt-Universität. Deshalb konnte er auch einen wissenschaftlichen Mitarbeiter an den Lehrstuhl für die Geschichte Osteuropas berufen, der vor seiner Berufung an die Humboldt-Universität an einer Neonazi-Demonstration gegen die Aufdeckung von Gräueltaten der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg teilgenommen hatte.

    Vor zehn Jahren wurde ich von der Teilnahme an einem Kolloquium an der Humboldt-Universität ausgeschlossen, weil ich beabsichtigte, die Fälschungen von Service und seine Verwendung antisemitischer Verunglimpfungen zu anzuprangern. Heute verbietet die Universität, die sich als unversöhnlicher Gegner des Antisemitismus aufspielt, im Namen der Bekämpfung des Antisemitismus die Erwähnung des Völkermords in Gaza.

    Ich erinnere an diesen Vorfall aus der nicht allzu fernen Vergangenheit, weil er beispielhaft ist für den Zynismus, die Heuchelei, die Demagogie und die hemmungslose Verlogenheit hinter der Kampagne, Opposition gegen Israels Angriff auf Gaza als „antisemitisch“ zu diskreditieren. Diese Verleumdung ist eine wichtige Waffe in den Bemühungen Israels und seiner imperialistischen Komplizen, all diejenigen einzuschüchtern und zu isolieren, die gegen den Völkermord an den Palästinensern protestieren.

    Plötzlich und von vielen überraschenden Seiten sind Kämpfer gegen Antisemitismus aufgetaucht. Letzte Woche wurden in den Vereinigten Staaten Universitätspräsidentinnen nach Washington D.C. vorgeladen, weil sie es versäumt hatten, angeblich antisemitische Proteste auf amerikanischen College-Campussen zu unterbinden. Angeführt wurde die inquisitorische Befragung von der Kongressabgeordneten Elise Stefanik, einer Republikanerin aus einem Bezirk im Bundesstaat New York. Sie wollte wissen, warum die Präsidentinnen der University of Pennsylvania, von Harvard, des Massachusetts Institute of Technology und anderer großer Universitäten Aufrufe zum „Völkermord“ dulden würden – worunter die Kongressabgeordnete jeden Studentenprotest versteht, der ein Ende des Apartheidregimes fordert, das den Palästinensern demokratische Rechte vorenthält.
    Die Abgeordnete Elise Stefanik, eine Anhängerin der faschistischen „Bevölkerungstausch-These“ und Unterstützerin des Aufstands vom 6. Januar 2021, ist auch eine führende Vertreterin der Behauptung, Antizionismus sei Antisemitismus [AP Photo/Mark Schiefelbein]

    Aber was sind die Referenzen von Frau Stefanik als Kämpferin gegen Antisemitismus? Sie ist eine bekannte Verfechterin der so genannten „Bevölkerungsaustausch-Theorie“, wonach die Juden die Vernichtung der weißen Christen planen, um die Weltherrschaft zu übernehmen. Mit anderen Worten, sie ist eine ausgewiesene Antisemitin, im klassischen Sinne des Wortes.

    Das Bündnis von Kräften der extremen Rechten mit dem israelischen Regime ist ein internationales politisches Phänomen. Wie ihr wisst, hat sich die Alternative für Deutschland (AfD), in der ein Politiker den Holocaust als „Vogelschiss“ in der Geschichte abtut, dem Kreuzzug gegen den Antisemitismus angeschlossen. Und würde er noch leben, würde sich zweifellos auch der Führer anschließen.

    Eine Delegation der ukrainischen Asow-Brigade, deren Kämpfer vielfach Nazi-Symbole als Tattoos tragen, besuchte im vergangenen Dezember Israel, um ihre Solidarität mit dem Netanjahu-Regime zu bekunden. All dies sind keine vereinzelten und abstrusen Zerrbilder ansonsten legitimer Bemühungen zur Bekämpfung des Antisemitismus. Vielmehr basiert die gesamte Kampagne auf einer Verfälschung der historischen Ursprünge und der politischen Funktion des Antisemitismus. Die aktuelle Kampagne steht für einen Prozess, den man als „semantische Umkehrung“ bezeichnen könnte. Hierbei wird ein Wort auf eine Weise und in einem Kontext verwendet, die das genaue Gegenteil seiner eigentlichen und seit langem akzeptierten Bedeutung sind.

    Durch die schiere Kraft der Wiederholung, verstärkt durch alle dem Staat und den Leitmedien zur Verfügung stehenden Mittel, wird die Bedeutung eines Begriffs grundlegend verändert. Das angestrebte Ergebnis dieser Verfälschung besteht darin, das politische Bewusstsein in der Bevölkerung zu senken und die Fähigkeit zur Erkenntnis der Realität zu mindern.

    Ein bezeichnendes Beispiel dafür, wie der Begriff „Antisemitismus“ zur Verfälschung der Geschichte, zur Verzerrung der politischen Realität und zur Desorientierung des öffentlichen Bewusstseins verwendet wird, findet sich in der jüngsten Ansprache des überaus redegewandten Robert Habeck, Vizekanzler der Ampel-Regierung in Berlin. In einer Schlüsselpassage erklärte dieser politische Tartuffe:

    Sorge macht mir aber auch der Antisemitismus in Teilen der politischen Linken und zwar leider auch bei jungen Aktivistinnen und Aktivisten. Anti-Kolonialismus darf nicht zu Antisemitismus führen.

    Kann jemand auch nur ansatzweise erklären, wie Anti-Kolonialismus einen antisemitischen Charakter annehmen soll? Habeck weiter:

    Insofern sollte dieser Teil der politischen Linken seine Argumente prüfen und der großen Widerstandserzählung misstrauen.[2]

    In dieser Passage offenbart sich der zentrale Zweck der semantischen Umkehrung des Wortes Antisemitismus. Ein Phänomen, das historisch mit der politischen Rechten assoziiert wurde, wird in ein zentrales Attribut der politischen Linken umgewandelt. Der reaktionäre Zweck dieses Verfälschungsverfahrens zeigte sich in der politischen Vernichtung von Jeremy Corbyn in Großbritannien. Ich bin kein Anhänger von Herrn Corbyn, dessen auffälligster politischer Charakterzug das Fehlen eines Rückgrats ist. Aber ungeachtet aller opportunistischen Sünden, die er begangen hat, ist der Vorwurf des Antisemitismus gegen Corbyn und seine Anhänger in der britischen Labour Party eine üble Verleumdung, die von seinen rechten Gegnern ausgeheckt wurde, um ihn politisch zu vernichten.

    Ein weiteres, noch schmutzigeres Beispiel für diese Verleumdung ist die bösartige Hexenjagd auf Roger Waters. Ein Künstler, der sein Leben und seine Kunst der Verteidigung der Menschenrechte gewidmet hat, wird in einer international orchestrierten Kampagne verfolgt, um ihn als Antisemiten abzustempeln. Hier in Deutschland, in Frankfurt und Berlin, wurden Versuche unternommen, seine Konzerte abzusagen. Und was ist die Motivation für seine Verfolgung? Roger Waters setzt sich für die demokratischen Grundrechte der Palästinenser ein und spricht sich gegen deren Unterdrückung aus.

    Die völlige Entkopplung des Begriffs „Antisemitismus“ von seiner eigentlichen historischen und politischen Bedeutung ist erreicht, wenn er gegen jüdische Menschen gerichtet wird, die zu Tausenden gegen die verbrecherische Politik des israelischen Regimes protestieren. Gegen sie wird ein besonders abscheulicher Ausdruck verwendet: „jüdischer Selbsthass“. Der Kern dieser Beleidigung besteht darin, dass Widerstand von Jüdinnen und Juden gegen die israelische Politik und gegen das gesamte zionistische Projekt nur als Ausdruck eines psychologischen Problems erklärt werden könne, einer pathologischen Ablehnung der eigenen Identität.

    Diese Diagnose geht von der Voraussetzung aus, dass das Judentum als besondere religiöse Identität vollständig im israelischen Staat und der nationalistischen Ideologie des Zionismus aufgegangen ist. Die religiöse Zugehörigkeit eines Individuums – die im Leben des einen oder anderen jüdischen Menschen eine geringe oder gar keine besondere Rolle spielen mag – wird mit einer enormen metaphysischen Bedeutung aufgeladen.

    Dieses ideologische Gebräu beruht nicht auf der Geschichte, sondern auf der biblischen Mythologie. Tatsächlich beruht die Legitimität des zionistischen Projekts auf der Behauptung, dass die Gründung Israels vor gerade einmal 75 Jahren die so genannte „Rückkehr“ des jüdischen Volkes nach 2.000 Jahren Exil in die ihm „von Gott versprochene“ Heimat seiner Vorfahren markiert.

    Dieser mythologische Unsinn entbehrt jeder Grundlage in der historischen Realität. Mehr als 350 Jahre sind vergangen, seit Spinoza in seiner theologisch-politischen Abhandlung die Behauptung widerlegt hat, der Pentateuch sei Moses von Gott diktiert worden. Die Bibel war das Werk vieler Autoren. Wie der Historiker Steven Nadler, eine Autorität in Sachen Spinoza, erklärt:

    Spinoza bestreitet, dass Moses die gesamte oder auch nur den größten Teil der Thora geschrieben hat. Die Verweise im Pentateuch auf Moses in der dritten Person, die Schilderung seines Todes und die Tatsache, dass einige Orte mit Namen benannt werden, die sie zur Zeit Moses nicht trugen, machen ‚ohne jeden Zweifel deutlich‘, dass die Schriften, die gemeinhin als ‚die fünf Bücher Mose‘ bezeichnet werden, in Wirklichkeit von jemandem geschrieben wurden, der viele Generationen nach Mose lebte.[3]

    Ausgehend von seiner Missachtung der Autorität der Bibel erzürnte Spinoza die oberste Geistlichkeit der Rabbiner von Amsterdam weiter und provozierte seine Exkommunikation, indem er die für das Judentum als Religion und den Zionismus als politische Ideologie zentrale Behauptung leugnete, die Juden seien das „auserwählte Volk“. Nadler schreibt:

    Wenn die Ursprünge und die Autorität der Heiligen Schrift heute in Zweifel gezogen werden, dann gilt das auch für ihre vollmundigen Behauptungen über die ‚Berufung‘ der Hebräer. Es ist ‚kindisch‘, so Spinoza, wenn jemand sein Glück auf die Einzigartigkeit seiner Gaben gründet; im Falle der Juden wäre es die Einzigartigkeit ihrer Auserwähltheit unter allen Menschen. In der Tat übertrafen die alten Hebräer andere Völker weder in ihrer Weisheit noch in ihrer Nähe zu Gott. Sie waren den anderen Völkern weder geistig noch moralisch überlegen.

    Spinozas Abtrünnigkeit war durch den rasanten Fortschritt der Wissenschaft im 17. Jahrhundert geprägt und im philosophischen Materialismus verwurzelt. Er ebnete den Weg für die fortschrittlichsten und radikalsten politischen Tendenzen. Damit zog er den Zorn der rabbinischen Hüter der Orthodoxie auf sich. Die Exkommunikation Spinozas wurde in einer Sprache verkündet, die in ihrer Schärfe ohne Beispiel war. Die Exkommunikation lautete auszugsweise:

    Verflucht sei er bei Tag und verflucht sei er bei Nacht; verflucht sei er, wenn er sich niederlegt, und verflucht sei er, wenn er sich erhebt. Verflucht sei er, wenn er hinausgeht, und verflucht sei er, wenn er hereinkommt. Der Herr wird ihn nicht verschonen, sondern dann wird der Zorn des Herrn und sein Eifer über diesen Menschen rauchen, und alle Flüche, die in diesem Buch geschrieben sind, werden auf ihm liegen, und der Herr wird seinen Namen auslöschen unter dem Himmel.[4]

    „Exkommunizierter Spinoza“, Gemälde von Samuel Hirszenberg, 1907 [Photo: Samuel Hirszenberg]

    Obwohl Spinoza auf diese Weise gebrandmarkt wurde, konnte sein Name nicht ausgelöscht werden. Der Einfluss seiner ketzerischen Ideen hat Jahrhunderte überdauert und wesentlich zur Entwicklung des aufklärerischen Denkens – einschließlich der als Haskala bekannten jüdischen Aufklärung – und ihrer revolutionären politischen Folgen im 18., 19. und sogar 20. Jahrhundert beigetragen.

    Die politische Theologie des heutigen Zionismus ist die extreme konterrevolutionäre Antithese und Zurückweisung der fortschrittlichen, demokratischen und sozialistischen Tradition, die sich aus dem an Spinoza und später am Marxismus angelehnten Denken von Generationen jüdischer Arbeiter und Intellektueller herleitet. Durch die Neuinterpretation des religiösen Mythos im Geiste eines extremen Nationalchauvinismus verleiht die zeitgenössische zionistische Theologie der Vorstellung des „auserwählten Volks“ einen durch und durch rassistischen und faschistischen Charakter.

    Die Tatsache, dass sich die israelische Regierung aus Parteien der extremen Rechten zusammensetzt, wird zwar weithin anerkannt, wird jedoch als nebensächliches Detail behandelt, das keinen besonderen Bezug zu den Ereignissen des 7. Oktober und der Reaktion des israelischen Staates hat. Der Einfluss einer apokalyptischen „Theologie der Rache“, die ausdrücklich die Vernichtung aller Feinde Israels fordert, auf die Politik der Netanjahu-Regierung wird in der politischen Berichterstattung über den Krieg praktisch nicht erwähnt.

    Eine zentrale Figur in der Entwicklung der „Theologie der Rache“ war Meir Kahane, der 1932 in Brooklyn geboren wurde und mittlerweile verstorben ist. Sein Vater, Charles Kahane, war ein Freund und Mitarbeiter von Zeev Jabotinsky, dem Führer eines erklärtermaßen faschistischen Flügels der zionistischen Bewegung. Meir Kahane wurde zunächst als Gründer der neofaschistischen Jewish Defense League (JDL) in den Vereinigten Staaten berüchtigt. Die JDL hatte es auf schwarze Organisationen in New York abgesehen, die Kahane als Bedrohung für die Juden verteufelte.

    1971 siedelte Kahane nach Israel über und gründete die vehement anti-arabische Kach-Partei. Seine Anhänger in den Vereinigten Staaten blieben aktiv. Die Workers League, die Vorgängerin der Socialist Equality Party in den Vereinigten Staaten, wurde zur Zielscheibe der JDL, die 1978 in Los Angeles durch einen Bombenanschlag versuchte, eine vom Internationalen Komitee organisierte Vorführung des Dokumentarfilms „The Palestinian“ zu stören.
    Meir Kahane im Jahr 1984 [Photo: Gotfryd, Bernard]

    Kahanes Rolle und Einfluss in Israel wird in einem Essay mit dem Titel „Meir Kahane and Contemporary Jewish Theology of Revenge“ analysiert, der 2015 veröffentlicht wurde. Die Autoren sind zwei israelische Wissenschaftler, Adam und Gedaliah Afterman. Sie erklären, dass die Theologie Kahanes

    um die Behauptung kreiste, dass der Staat Israel von Gott gegründet wurde, als Racheakt gegen die Ungläubigen für deren Verfolgung der Juden, insbesondere für die systematische Ermordung der Juden während des Holocausts.

    Kahanes Kach-Partei forderte die Annexion aller im Krieg von 1967 von Israel eroberten Gebiete und die gewaltsame Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung. Kahane wurde 1984 in die Knesset, das israelische Parlament, gewählt. Die Kach-Partei wurde bei den Wahlen von 1988 verboten, doch ihr Einfluss dauerte an, obwohl Kahane im Jahr 1990 während einer Reise nach New York ermordet wurde.

    Das Essay der Aftermans fasst die drei Grundpfeiler von Kahanes Rachetheorie zusammen.

    Erstens:

    Das Volk Israel ist ein kollektives mythisches Wesen, das ontologisch in der Göttlichkeit verwurzelt ist und sich seit frühesten Tagen zusammen mit Gott einem mythischen Feind gegenübersah. Dieser mythische Feind, „Amalek“, wird im Laufe der jüdischen Geschichte durch verschiedene tatsächliche Feinde verkörpert, und die verschiedenen Verfolgungen und Qualen, die die Juden im Laufe der Geschichte erlitten haben, sind Ausdruck ein und desselben mythischen Kampfes. Darüber hinaus gibt es einen ontologischen Unterschied zwischen der mythischen Nation Israel und den Ungläubigen, insbesondere den Feinden Israels. Der ontologische Unterschied zwischen der jüdischen und der nichtjüdischen Seele setzt den jüdischen Grundsatz außer Kraft, dass die gesamte Menschheit nach dem Bild Gottes geschaffen wurde. Der Glaube, dass Nichtjuden minderwertig seien und die dämonischen Mächte der Geschichte verkörpern, rechtfertigt tödliche Gewalt und Racheakte.

    Zweitens:

    ...Daher, so die Argumentation, trägt das Volk Israel eine religiöse Pflicht, alle möglichen Mittel einzusetzen, um sich an seinen gemeinsamen Feinden zu rächen und seinen gemeinsamen Stolz und Status zu rehabilitieren. Ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht, die Palästinenser und andere Kräfte, die Israel bekämpfen, sind Teil eines mythischen, religiösen Kampfes, der die Zerstörung des Volkes Israel und seines Gottes zum Ziel hat. Diese Faktoren erlauben den Einsatz aller Mittel, um die Feinde zu besiegen.

    Drittens:

    Die Gründung des Staates Israel im Jahr 1948, kurz nach dem Holocaust, muss einem einzigen Zweck dienen: die erlösende Rache an den Ungläubigen zu ermöglichen. Die Gründung des modernen jüdischen Staates im historischen Land Israel ist eher ein Instrument, den Erlösungsprozess in Gang zu setzen, als ein Ergebnis oder ein Zeichen eines solchen Prozesses.

    Die drei Säulen zusammenfassend, erklären die Aftermans:

    ...Kahane argumentiert, dass die Ausübung von Rache an dem metaphysischen Feind ‚Amalek‘ (feindliche Ungläubige) von grundlegender Bedeutung ist, um Gott und sein Volk zu erretten, die beide infolge des Holocausts beinahe umgekommen wären. Die Gründung des jüdischen Staates mit seiner institutionalisierten Macht und militärischen Stärke sollte nach Kahanes Ansicht in den Dienst der Erlösung versprechenden Rache gestellt werden. Kahane geht so weit, dass er Racheakte auch an unschuldigen Menschen mit dem Argument rechtfertigt, sie gehörten zum mythischen Feind, der als Voraussetzung für die Erlösung Israels und seines Gottes ausgerottet werden müsse. Seiner Ansicht nach ist der Verlust von unschuldigem Leben, wenn nötig, ein gerechtfertigtes Opfer.[5]

    Kahane interpretierte die Doktrin des „auserwählten Volkes“ so, dass jegliche Verbindung mit traditionellen westlichen Werten völlig abgelehnt wird. In seinem Buch Or Ha’Raayon schrieb er:

    Dies ist ein jüdischer Staat. Er verneigt sich vor dem Judentum und widerspricht ihm nicht. Er handelt nach jüdischen Werten und jüdischen Geboten, auch wenn diese dem Völkerrecht und der Diplomatie widersprechen, auch wenn sie im Gegensatz zum normalen westlichen und demokratischen Lebensstil stehen; dies ist so, auch wenn es seine Interessen gefährdet und ihn von den zivilisierten Nichtjuden zu isolieren droht … Die Aufgabe des Judentums ist es, getrennt, einzigartig, anders und auserwählt zu sein. Dies ist die Rolle des jüdischen Volkes und seines Instruments, des Staates … Wir haben keinen Anteil an den normierten Werten der Nationen. Assimilation beginnt nicht mit Mischehen, sondern mit dem Kopieren und Übernehmen fremder Werte, fremder und nicht-jüdischer Begriffe und Ideen.

    Kahanes Theorie der Rache wurde im Hebräischen mit dem Konzept dessen identifiziert, was er Kiddusch Haschem nannte. Er schrieb:

    Eine jüdische Faust im Gesicht einer verblüfften ungläubigen Welt, die sie seit zwei Jahrtausenden nicht mehr gesehen hat, das ist Kiddusch Haschem. Jüdische Herrschaft über die christlichen heiligen Stätten, während die Kirche, die unser Blut gesaugt hat, ihre Wut und Frustration erbricht – das ist Kiddusch Haschem.

    Tatsächlich kann man Kahanes Kiddusch Haschem – trotz seiner halbherzigen Beschwörung einer angeblich einzigartigen jüdischen Philosophie – als eine hebräischsprachige Variante der Philosophie von Adolf Hitlers Mein Kampf bezeichnen, wobei der Hauptunterschied darin besteht, dass Kahanes hasserfüllte und rassistische Hetzschrift auf Hebräisch von rechts nach links und nicht von links nach rechts geschrieben wurde.

    Kahanes Einfluss blieb auch nach seiner Ermordung in dem zunehmend reaktionären politischen Umfeld Israels bestehen. Am 25. Februar 1994 ermordete einer von Kahanes Studenten, Baruch Goldstein, bei einem Anschlag auf eine Moschee in Hebron 29 Palästinenser und verwundete 150 weitere. Dieses Verbrechen wurde von Kahanes Anhängern gepriesen – darunter der äußerst einflussreiche Rabbiner Yitzchak Ginsburgh, der verkündete, dass der von Goldstein verübte Massenmord ein Akt des Kiddusch Haschem sei.

    Was hat das nun mit heute zu tun? Itamar Ben-Gvir, der Führer der fremdenfeindlichen Partei Otzma Jehudit, ist jetzt Minister für nationale Sicherheit in Netanjahus Koalitionsregierung. Er war Mitglied der Kach-Partei, bevor diese verboten wurde. Er ist nach wie vor ein entschiedener Verfechter der faschistischen Theologie und Politik von Meir Kahane. Im April dieses Jahres hielt Ben-Gvir – flankiert von einem Sicherheitsdienst aus dem Büro des Ministerpräsidenten – eine Rede, in der er sowohl Kahane als auch Baruch Goldstein lobte.
    Präsident Joe Biden (links) und der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu auf dem internationalen Flughafen Ben Gurion, Tel Aviv, 18. Oktober 2023 (AP Photo/Evan Vucci)

    Seit Beginn des Krieges kommt es immer häufiger vor, dass israelische Führer sich auf Kahanes Doktrin der Rache berufen. Letzten Monat erklärte Netanjahu in einer öffentlichen Rede: „Ihr müsst euch daran erinnern, was Amalek euch angetan hat, sagt unsere Heilige Bibel. Und wir erinnern uns.“ Die Tragweite von Netanjahus Verweis auf Amalek wurde in einer Erklärung des israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant deutlich gemacht: „Wir kämpfen gegen menschliche Tiere, und wir handeln entsprechend. Wir werden alles eliminieren – sie werden es bereuen.“ Seit Beginn des Krieges haben führende israelische Politiker zahlreiche Erklärungen gleichen Inhalts abgegeben, die in den genozidalen Taten der israelischen Regierung und des Militärs ihren Ausdruck gefunden haben.

    Inmitten der Verbrechen, die das israelische Regime begeht, gibt es keine größere und heimtückischere Lüge als die Behauptung, dass Widerstand gegen den Zionismus antisemitisch sei und sein müsse. Diese Lüge wird durch die lange Geschichte der Opposition gegen den Zionismus vor 1948 widerlegt. Zigtausende jüdische Arbeiter und Intellektuelle leisteten diesen Kampf über mehrere Generationen hinweg und wiesen den auf einem Mythos beruhenden Ruf nach einer Rückkehr nach Palästina zurück.

    Die Opposition gegen den Zionismus wurde mit größter politischer Klarheit von der sozialistischen Bewegung zum Ausdruck gebracht, die den politisch reaktionären Charakter der Perspektive, einen jüdischen Staat in Palästina zu errichten, erkannte und verurteilte. Man verstand, dass dieses Projekt ein kolonialistisches Unterfangen war, das nur im Bündnis mit dem Imperialismus und auf Kosten der palästinensisch-arabischen Bevölkerung verwirklicht werden konnte, die seit 2.000 Jahren in diesem Gebiet lebt.

    Darüber hinaus strebte die große Mehrheit der Jüdinnen und Juden in ihrem Kampf gegen die traditionelle religiöse Verfolgung und den seit dem späten 19. Jahrhundert aufkommenden politischen Antisemitismus nach politischer und sozialer Gleichberechtigung innerhalb der Länder, in denen sie lebten. Das war vor allem in Deutschland eine wahrhaftige Tatsache. Sie wollten Teil der Massenbewegung gegen Unterdrückung sein. Bei den politisch bewusstesten Teilen der jüdischen Jugend, der Arbeiter und Intellektuellen führte dieses Streben dazu, dass sie aktiv an der sozialistischen Bewegung teilnahmen.

    Die heutige Behauptung, wonach der Zionismus der notwendige und wahre Ausdruck der jüdischen Identität sei, entbehrt jeder historischen Grundlage. Das Fortbestehen demokratischer Überzeugungen und ein Mitgefühl für die Unterdrückten, das in der Erfahrung antisemitischer Vorurteile und Verfolgung wurzelt, kommt auch in der großen Zahl jüdischer Jugendlicher zum Ausdruck, die sich an den Demonstrationen gegen den israelischen Angriff auf die Bewohner des Gazastreifens beteiligen.

    Aller Propaganda zum Trotz wecken die Bilder der Massentötung wehrloser Palästinenser zwangsläufig historische und familiäre Erinnerungen an das Schicksal der Juden unter den Händen der Nazis. Der Krieg gegen die Bevölkerung des Gazastreifens ruft damit nicht nur ein Gefühl der Solidarität mit den Opfern der israelischen Gräueltaten hervor, sondern auch tiefen Zorn, dass die Tragödie des Holocausts für die Rechtfertigung dieses Krieges missbraucht wird.

    Natürlich werden die Zionisten und ihre Apologeten behaupten, dass alles, was ich gesagt habe, nur ein Beweis für meinen eigenen tief verwurzelten Antisemitismus ist, den sie – wie ich bereits erklärt habe – als ein in der sozialistischen Bewegung weit verbreitetes Vorurteil bezeichnen. Je weiter links jemand steht, je nachdrücklicher er oder sie sich gegen Kapitalismus und Imperialismus ausspricht, desto unversöhnlicher ist die Ablehnung des jüdischen Staates und damit der Antisemitismus dieser Person.

    Diese Behauptung ist ebenso absurd wie politisch reaktionär. Da ich seit mehr als einem halben Jahrhundert in der sozialistischen Bewegung aktiv bin, bin ich persönlich wahrhaftig nicht verpflichtet, auf die Behauptung zu antworten, dass ich oder meine Genossen in der trotzkistischen Bewegung Antisemiten seien. Wie man so schön sagt, spricht meine Laufbahn für sich selbst.

    Doch leider trifft das nicht immer zu. Der Vorwurf des Antisemitismus erfordert, dass der politische Werdegang der angegriffenen Person ignoriert und verzerrt werden muss.

    Daher werde ich zum ersten Mal auf diesen Vorwurf reagieren, indem ich meiner bekannten öffentlichen politischen Bilanz Informationen über meinen persönlichen Hintergrund hinzufüge. Da ich nun ein eher fortgeschrittenes Alter erreicht habe und in etwas mehr als einem Jahr meinen 75. Geburtstag feiern werde, halte ich die Zeit für gekommen, dies zu tun. Und zwar nicht, weil es irgendeine Wirkung auf die Verleumder haben würde, sondern weil es in meiner persönlichen Erfahrung Elemente gibt, die bei einer jüngeren Generation Widerhall finden und sie ermutigen könnten, ihren Kampf zur Verteidigung der Palästinenser und gegen alle Formen der Unterdrückung zu verstärken.

    Der prägende Faktor in der Entwicklung eines jeden Menschen ist das soziale und politische Umfeld seiner Zeit, das auf der grundlegendsten Ebene durch die sozioökonomischen Strukturen der Gesellschaft, in die er hineingeboren wurde, bestimmt wird. Die Persönlichkeit eines Menschen wird durch das geformt, was Marx als „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ bezeichnet hat. Aber diese gesellschaftlichen Verhältnisse werden durch persönliche Erfahrungen gebrochen, sowohl durch eigene als auch durch solche, die durch Familie, Freunde, Lehrer, Bekannte usw. vermittelt werden.

    Ich bin ein Amerikaner der ersten Generation, geboren 1950. Der Ort meiner Geburt – ja, meine Existenz – wurde durch die Ereignisse bestimmt, die zum Zweiten Weltkrieg geführt hatten, der nur viereinhalb Jahre zuvor zu Ende gegangen war. Meine Eltern waren beide aus Europa geflohen, um der Verfolgung der Juden durch die Nazis zu entgehen. Meine Mutter Beatrice wurde am 18. Dezember 1913 in Wilmersdorf geboren – genau am selben Tag, an dem Herbert Frahm, auch Willy Brandt genannt, geboren wurde. Das Wohnhaus, in dem sie zur Welt kam, steht noch heute in der Konstanzer Straße. Ihr Vater – mein Großvater – nahm eine bedeutende Stellung im kulturellen Leben Berlins ein. Sein Name war Ignatz Waghalter. 1881 in Warschau in eine sehr arme Musikerfamilie hineingeboren, machte sich Waghalter im Alter von 17 Jahren auf den Weg nach Berlin, um eine ordentliche musikalische Ausbildung zu erhalten.
    Die Familie Waghalter 1889 in Warschau

    Mein Großvater war das 15. von 20 Kindern. Von diesen 20 Kindern starben 13 im Kindesalter, vier davon an einem Tag während der Typhusepidemie von 1888. Von den 20 Kindern überlebten sieben – vier Jungen und drei Mädchen. Mein Großvater war von frühester Kindheit an musikalisch sehr begabt. Im Alter von sechs Jahren trat er bereits im Warschauer Zirkus auf. Im Alter von acht Jahren schrieb und komponierte er eine Revolutionshymne, die so beliebt war, dass die Polizei nach dem Namen und der Identität des rebellischen Musikers forschte. Die Polizei war ziemlich schockiert, als sie feststellte, dass es sich um einen Achtjährigen handelte. Die Familie Waghalter hatte tiefe Wurzeln im revolutionären demokratischen Kampf des polnischen Volkes. Kürzlich entdeckte ich in einer Bibliothek einen revolutionären Marsch, den der Großvater meines Großvaters im Jahr 1848 komponiert hatte.

    Mein Großvater wollte eine echte Ausbildung erhalten. Er wollte nicht nur ein Wandermusiker sein, er wollte in die musikalische Welthauptstadt Berlin ziehen und lernen, wie man ein richtiger Komponist wird. Im Jahr 1897 wurde er mittellos über die Grenze geschmuggelt. Er lebte unter großen Entbehrungen, als der große Geiger und Freund von Johannes Brahms, Joseph Joachim, auf ihn aufmerksam wurde. Auf Joachims Empfehlung wurde mein Großvater in die Akademie der Künste aufgenommen. Im Jahr 1902 wurde seine Sonate für Violine und Klavier mit dem begehrten Mendelssohn-Preis ausgezeichnet. Zwei Jahre später wurde Ignatz‘ jüngerer Bruder Wladyslaw, der ihm nach Berlin gefolgt war, mit demselben Preis für seine Leistungen als Geiger ausgezeichnet.

    Nach dem Studienabschluss erhielt Ignatz eine Stelle als Kapellmeister an der Komischen Oper. Einige Jahre später folgte eine Berufung an das Essener Opernhaus. Der entscheidende Wendepunkt in seiner musikalischen Laufbahn kam jedoch 1912, als er zum Ersten Kapellmeister am neu erbauten Deutschen Opernhaus in der Bismarckstraße in Charlottenburg berufen wurde, heute als Deutsche Oper bekannt. Das ursprüngliche Gebäude wurde natürlich im Zweiten Weltkrieg zerstört und später wieder aufgebaut, befindet sich aber heute noch in derselben Straße. Wladyslaw Waghalter wurde zum Konzertmeister des neuen Opernhauses ernannt, das am 7. November 1912 mit einer Aufführung von Beethovens „Fidelio“ eröffnet wurde. Trotz des lautstarken Widerstands von Antisemiten und zahlreicher Morddrohungen dirigierte Ignatz Waghalter die Uraufführung.

    In den folgenden zehn Jahren behielt mein Großvater seine Position als Erster Kapellmeister am Deutschen Opernhaus. Drei seiner Opern, „Mandragola“, „Jugend“ und „Sataniel“, wurden am Opernhaus uraufgeführt. Waghalter war bekannt dafür, dass er sich für die Opern von Giacomo Puccini einsetzte, dessen Musik ein auf Richard Wagner fixierter Musikbetrieb zuvor abgelehnt hatte. Waghalter dirigierte im März 1913 die deutsche Uraufführung von Puccinis „La Fanciulla del West“ [Das Mädchen aus dem goldenen Westen], bei der Puccini selbst anwesend war. Es war ein Triumph, der Puccinis Ruf als großer Komponist in Deutschland begründete.
    Ignatz Waghalter mit Giacomo Puccini, Berlin, März 1913

    Während seiner langjährigen Tätigkeit am Deutschen Opernhaus hatte Waghalter mit antipolnischen und antisemitischen Vorurteilen zu kämpfen. Obwohl er selbst keine religiösen Rituale pflegte und keine Synagoge besuchte, weigerte sich Waghalter – im Gegensatz zu vielen anderen jüdischstämmigen Dirigenten – zum Christentum zu konvertieren. Der Gedanke, seine Religion zu wechseln, um seine Karriere zu fördern und sich damit den antisemitischen Vorurteilen anzupassen, war ihm zuwider.

    1914, bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs, erhielt Waghalter ein Dirigierverbot, weil er im Russischen Reich geboren war, mit dem sich das kaiserliche Deutschland im Krieg befand. Proteste des opernbegeisterten Publikums in Charlottenburg führten jedoch zu seiner Wiedereinstellung.

    Waghalter blieb am Deutschen Opernhaus, bis dieses 1923 inmitten der katastrophalen Inflationskrise in Konkurs ging. Er verbrachte ein Jahr in den Vereinigten Staaten als Leiter des New York State Symphony Orchestra. Anschließend kehrte er nach Deutschland zurück, wo er zum Generalmusikmeister der Filmgesellschaft UFA ernannt wurde. Eine Rückkehr an die Städtische Oper, wie das reorganisierte und wiedereröffnete Deutsche Opernhaus damals hieß, war für ihn jedoch nicht möglich.

    Die Machtergreifung Hitlers beendete seine Karriere und die seines Bruders als Musiker in Deutschland. Meine Mutter, damals noch keine 20 Jahre alt, hatte eine Vorahnung, dass das Dritte Reich Juden nicht nur die Karriere, sondern auch das Leben kosten könnte. Beatrice drängte ihre Eltern, Deutschland zu verlassen, ehe eine Flucht nicht mehr möglich sein würde. Sie folgten ihrem Rat und verließen Deutschland, reisten zunächst in die Tschechoslowakei und dann nach Österreich.

    Meine Mutter, eine hochbegabte Musikerin, blieb in Deutschland. Sie trat dem Jüdischen Kulturbund bei, wo sie als Sängerin in jüdischen Privathäusern in ganz Deutschland auftrat. Im Jahr 1937 erhielt sie ein Visum für die Einreise in die Vereinigten Staaten. Es gelang ihr, Einreisevisa auch für ihre Eltern zu besorgen. Meine Großeltern trafen im Mai 1937 in New York ein. Schon wenige Tage nach ihrer Ankunft initiierte Ignatz ein Projekt von historischer Bedeutung: die Gründung des ersten klassischen Musikorchesters, das aus afroamerikanischen Musikern bestand.

    Dieses radikale Projekt stieß in dem rassistischen Umfeld der damaligen Zeit auf erbitterten Widerstand. Waghalter lud häufig schwarze Musiker zu Proben in seine Wohnung ein. Dies führte dazu, dass eine Petition in Umlauf gebracht wurde, die von fast allen weißen Bewohnern des Appartementhauses unterzeichnet wurde, und in der sie forderten, Waghalter aus der Wohnung zu werfen , falls er dieses Gebahren fortsetzte.
    Ignatz Waghalter bei einer Probe mit dem Nego Symphony Orchestra. Rechts ein Artikel darüber: „Musik kennt weder Glaubensbekenntnis noch Nationalität“

    Mein Großvater wurde von der afroamerikanischen Zeitung von Baltimore interviewt. Er drückte die Überzeugung aus, die ihn zur Gründung des Symphonieorchesters inspiriert hatte: „Musik, die stärkste Festung der universellen Demokratie, kennt weder Hautfarbe noch Glaube oder Nationalität.“

    Trotz Waghalters immenser Bemühungen machte das reaktionäre Umfeld es unmöglich, das Orchester aufrechtzuerhalten. In den letzten zehn Jahren seines Lebens wurde Waghalter zusehends isoliert. Er verlor den Kontakt zu seiner Familie. Erst nach dem Krieg erfuhr er, dass sein Bruder Wladyslaw (der Deutschland nicht hatte verlassen können) 1940 nach einem Besuch im Gestapo-Hauptquartier plötzlich verstorben war. Seine Frau und eine Tochter kamen 1943 in Auschwitz ums Leben. In der Brandenburgerstraße 49, der Adresse, an der mein Großonkel Wladyslaw gewohnt hatte, sind Stolpersteine eingelassen, die an das Leben und den Tod Wladyslaws und seiner Familie erinnern.
    Stolpersteine für Wladyslaw Waghalter und seine Familie an der Brandenburgerstraße 49, Berlin

    Glücklicherweise gelang einer Tochter Wladyslaws, Yolanda, die Flucht. Sie schaffte es nach Südamerika, lebte in Peru, wo sie erste Geigerin im Symphonieorchester von Lima wurde. Ihr Sohn Carlos, mein Cousin zweiten Grades, lebt heute in New Orleans, und wir sind, praktisch seit wir erwachsen sind, eng befreundet. Ignatz‘ Bruder Joseph starb im Warschauer Ghetto. Zwei der drei Schwestern kamen ebenfalls in Polen ums Leben. Nur sein ältester Bruder, der große polnische Cellist Henryk Waghalter, überlebte den Krieg. Mein Großvater starb unerwartet im April 1949 in New York, im Alter von 68 Jahren.
    Portrait von Toni und Ignatz Waghalter, April 1949. Links: Nachruf der New York Times für Waghalter, 8. April 1949

    Während seines kurzen Exils in der Tschechoslowakei in den Jahren 1935–1936 schrieb mein Großvater seine Memoiren, die mit einem Bekenntnis seine Ideale als Künstler schließen. Er wusste, dass die Nazis eine tödliche Bedrohung für die Juden darstellten, aber er gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass die Verbrecher des Dritten Reiches nicht über das ethische und moralische Engagement des jüdischen Volks für Gerechtigkeit siegen würden. Waghalter gab zu, dass er noch nicht wusste, wo er Zuflucht finden würde. Und so beendete er seine Memoiren mit den Worten:

    Wo immer es auch sein mag, ich möchte der Kunst und der Menschheit dienen, gemäß den Worten von Moses: „Du bist aus der Sklaverei befreit worden, um deinen Brüdern zu dienen.“

    Die Auffassung meines Großvaters von der jüdischen Ethik unterschied sich eindeutig von derjenigen, die in der Netanjahu-Regierung und dem heutigen zionistischen Staat vorherrscht. Er wäre entsetzt und erschüttert, wenn er wüsste, was im Namen des jüdischen Volks getan wird. Es gibt keine größere Verleumdung, kein größeres Geschenk an die wahren Antisemiten, als das jüdische Volk mit den Verbrechen in Verbindung zu bringen, die gegenwärtig jeden Tag gegen das unterdrückte palästinensische Volk begangen werden.

    Die Geschichte von meines Großvaters Leben und seiner Beziehung zu der Katastrophe, die das europäische Judentum überrollt hatte, war ein ständiges Gesprächsthema in meinem Elternhaus. Meine Großmutter, Ignatz‘ Witwe, die wir Omi nannten, lebte bei uns. Ich verbrachte unzählige Stunden in ihrem Zimmer, wo sie mir vom Leben in Berlin erzählte, von den Freundschaften mit so vielen großen Künstlern, davon, dass Giacomo Puccini sie in den Hintern gekniffen hatte, von all den Freunden, die sie kannte, von den Schriftstellern und sogar von Wissenschaftlern wie Albert Einstein, der häufig in der Wohnung in der Konstanzerstraße zu Gast war. Gern spielte er dort mit seiner Geige in einem Streichquartett mit. Die Mitbewohner hatten nichts dagegen.

    Die Geschichten meiner Großmutter wurden durch die Erzählungen meiner Mutter ergänzt, die ein besonders enges Verhältnis zu ihrem Vater gehabt hatte. Die meisten Geschichten wurden auf Deutsch erzählt, das bei uns zu Hause gleichberechtigt neben dem Englischen stand.

    Zumindest in der Straße, in der ich wohnte, war das nicht ungewöhnlich. Viele unserer Nachbarn waren Flüchtlinge: Dr. Jakobius, Frau London, Frau Spitzer, Frau Rehfisch, Walter und Uschi Bergen, Dr. Hartmann und Dr. Gutfeld. Es gab noch andere, an deren Namen ich mich nicht erinnere, aber es war, als ob ein beträchtlicher Teil Charlottenburgs in einem Vorort von New York City neu entstanden wäre. Und dann waren da noch die vielen Freunde, die in anderen Teilen der Stadt lebten, aber häufig zu Besuch kamen: Greta Westman, Dela Schleger, Kurt Stern ...

    Viele der Gespräche, in denen das Leben in Berlin geschildert wurde, endeten mit dem Satz: „Und dann kam Hitler.“ Das war das Ereignis, das alles veränderte. In meinem jungen Kopf führte das zu vielen Fragen. „Wie kam Hitler?“ „Warum kam Hitler?“ „Hat ihn jemand vor 1933 kommen sehen?“ „Wann haben meine Großeltern und meine Mutter zum ersten Mal von Hitler gehört und erkannt, dass er kommen könnte?“ Und schließlich die wichtigste Frage von allen: „Warum haben die Menschen Hitlers Kommen nicht verhindert?“

    Das war eine Frage, auf die niemand, den ich kannte, eine vollständige und überzeugende Antwort hatte. Immerhin waren die Antworten, die ich zu Hause erhielt, in einigen Punkten hilfreich. Erstens wurden die Nazis eindeutig als rechtsgerichtete Bewegung gekennzeichnet. Die Trennlinie zwischen Gut und Böse verlief in meiner Familie also nicht zwischen Deutschen und Juden, sondern zwischen links und rechts. Diese Trennung, so betonte meine Mutter, gab es nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt und natürlich auch in den Vereinigten Staaten. Gelegentlich schaute sie sich bestimmte amerikanische Politiker an und sagte: „Ich traue dieser Bande nicht.“

    In diesem Punkt war meine Mutter besonders nachdrücklich. Sie hasste den Faschismus. Wenn sie eine bestimmte, besonders anstößige soziale und politische Haltung feststellte oder ihr begegnete, neigte sie dazu, die betreffende Person als „einen echten Faschisten“ zu bezeichnen.

    Sie war sich der Existenz von Antisemitismus in Deutschland vor Hitler durchaus bewusst. Solchen Tendenzen begegnete sie schon vor Hitlers Aufstieg unter den Lehrern ihrer Schule. Aber über diese Tendenzen sagte sie oft, dass sie nie geglaubt hätte, dass sie sich zwangsläufig bis zum Massenmord entwickeln würden. Sie glaubte nicht an eine solche Unvermeidbarkeit. Außerdem hat sie nie eine Spur von Hass oder Bitterkeit gegenüber den Deutschen gezeigt. Sie war stolz darauf, dass ihre Kenntnisse der deutschen Sprache auch 60 Jahre nach ihrer Flucht aus Deutschland nicht verblasst waren.

    Es sollte noch viele Jahre dauern, bis ich eine politisch überzeugende Antwort finden konnte, die erklärte, wie der Faschismus in Deutschland an die Macht gekommen war. Wie viele meiner Generation habe ich die Bürgerrechtsbewegung, die Ghettoaufstände und den Vietnamkrieg miterlebt. Die explosiven Ereignisse der 1960er Jahre regten mich zum Geschichtsstudium an und förderten mein Bedürfnis, aktuelle Ereignisse in einen größeren zeitlichen Rahmen einzuordnen. Darüber hinaus trieben mich die Wut über den nicht enden wollenden Vietnamkrieg und die stetig wachsende Desillusionierung über die Demokratische Partei und den amerikanischen Liberalismus weiter in Richtung Sozialismus. Dieser Prozess führte schließlich dazu, dass ich im Herbst 1969 erstmals die Schriften von Leo Trotzki entdeckte.

    Ich vertiefte mich in das Studium seiner verfügbaren Schriften: seine monumentale „Geschichte der Russischen Revolution“, seine Autobiographie „Mein Leben“, „Der neue Kurs“, „Die Lehren des Oktober“ und „Die verratene Revolution“. Alle diese Werke bildeten die Grundlage für meine Entscheidung, mich der trotzkistischen Bewegung anzuschließen. Aber der Band, der mich am meisten beeindruckte, war eine Sammlung von Trotzkis Schriften, die dem Kampf gegen die Machtergreifung der Nazis zwischen 1930 und 1933 gewidmet waren.

    Während dieser entscheidenden Jahre lebte Trotzki im Exil auf der Insel Prinkipo, vor der Küste Istanbuls. Das stalinistische Regime hatte ihn dorthin verbannt. Von dort, aus einer Entfernung von über 2.000 Kilometern, verfolgte er die Ereignisse in Deutschland. Seine Artikel, seine Warnungen vor der Gefahr, die von Hitler und der Nazipartei ausging, sind in der politischen Literatur ohne Beispiel.
    Leo Trotzki an seinem Schreibtisch in Prinkipo

    Trotzki erläuterte nicht nur das Wesen des Faschismus – seine Klassenbasis und seine wesentliche Funktion als Instrument des politischen Terrors gegen die sozialistische und die Arbeiterbewegung –, sondern er erklärte auch, wie die Nazis besiegt werden könnten. Er entlarvte die Politik der stalinistischen Kommunistischen Partei, der so genannten Dritten Periode, die behauptete, dass Sozialdemokratie und Faschismus identisch seien. Dieser bankrotten ultralinken Politik setzte er den Aufruf zu einer Einheitsfront aller Parteien der Arbeiterklasse entgegen, um die faschistische Gefahr zu besiegen. Seine Warnungen wurden ignoriert. Der Stalinismus und der Verrat der Sozialdemokratie machten den Sieg der Nazis möglich.

    Aber Hitlers Aufstieg zur Macht, die darauf folgende Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und der Holocaust waren nicht unvermeidlich. Sie waren das Ergebnis des politischen Verrats der reformistischen und stalinistischen Führungen der Arbeiterklasse. Das zu verstehen, zu begreifen, was Faschismus war – und, wenn ich daran zurückdenke, die Erkenntnis, dass ich nur wenige Jahrzehnte nach all dem aufgewachsen bin – hatte eine tiefgreifende Wirkung auf mich. Die Überzeugung, dass es nie wieder Faschismus geben darf, und die Einsicht, dass es möglich ist, diesen politischen Horror zu besiegen, verpflichteten mich, in der sozialistischen Bewegung aktiv zu werden, insbesondere in jener politischen Organisation, die die größte Bedrohung der Menschheit richtig analysiert und eine Antwort darauf gegeben hatte.

    Trotzki sah den Grund für den Aufstieg des Faschismus nicht in der deutschen Psyche, sondern in der historischen Krise des Kapitalismus und des Nationalstaatensystems. Hitler und das faschistische Regime stellten letztlich den verzweifelten Versuch des deutschen Kapitalismus dar, durch Krieg und Massenmord eine Lösung für die Schranken zu finden, die ihm durch das bestehende nationalstaatliche System auferlegt worden waren. Er war gezwungen, „Europa neu zu ordnen“. Aber dies war kein ausschließlich deutsches Problem. Die Krise hat den amerikanischen Imperialismus vor eine noch größere Herausforderung gestellt, die ihn bis heute beschäftigt: die Aufgabe, die Welt neu zu ordnen.

    In späteren Schriften, die er nach Hitlers Machtübernahme verfasste, warnte Trotzki davor, dass dem europäischen Judentum durch den Sieg des Faschismus und den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs die Vernichtung drohte. Diese Gefahr, so schrieb er, könne der Zionismus nicht abwenden, weil er eine nationale Lösung für ein Problem anstrebe, das in den globalen Widersprüchen des kapitalistischen Systems wurzelt.

    Nach dem Sieg der Nazis betonte Trotzki, dass das Schicksal der Juden mehr denn je mit dem Schicksal des Sozialismus verbunden sei. In einem Brief vom 28. Januar 1934 schrieb er:

    Die jüdische Frage ist nun, als Ergebnis des ganzen historischen Schicksals des Judentums, eine internationale Frage geworden. Sie kann nicht durch den „Sozialismus in einem Land“ gelöst werden. Unter den gegenwärtigen Bedingungen der übelsten und niederträchtigsten antisemitischen Verfolgungen und Pogrome können und müssen die jüdischen Arbeiter revolutionären Stolz aus dem Bewusstsein schöpfen, dass die Tragik des jüdischen Volkes nur durch einen vollständigen und endgültigen Sieg des Proletariats überwunden werden kann.[6]

    Diese Perspektive hat sich in der Geschichte bestätigt. Diejenigen, die behaupten, die Gründung Israels sei ein politischer Triumph gewesen, haben eine merkwürdige Vorstellung davon, was ein politischer Triumph ist. Die Schaffung eines Staates, der auf dem unverhohlenen Diebstahl von fremdem Land beruht, der auf rein rassistischer Grundlage die demokratischen Grundrechte, die allen Bürgern zustehen sollten, verweigert, der Hass und Rache als Grundlage der Staatspolitik etabliert, der seine eigenen Bürger systematisch darauf abrichtet, die Menschen zu töten und zu quälen, denen er das Land gestohlen hat, und der sich zum meistgehassten Staat der Welt gemacht hat – das kann kaum als „politischer Triumph“ bezeichnet werden. Es ist eine politische Degradierung.

    Der anhaltende Krieg hat trotz all seiner Schrecken einen wichtigen politischen Beitrag geleistet. Er hat die Jugend wachgerüttelt. Er hat der Welt die Augen geöffnet. Er hat das zionistische Regime und seine imperialistischen Komplizen als die Verbrecher entlarvt, die sie sind. Er hat eine Flutwelle der Empörung in Bewegung gesetzt, die sich weltweit ausbreitet. Sie wird auch die Verantwortlichen für diesen Völkermord überschwemmen.

    Aber die große Herausforderung, vor der unsere Bewegung steht, besteht darin, die Empörung mit einem revolutionären sozialistischen Programm zu verbinden, das die globale Arbeiterklasse in einem gemeinsamen Kampf gegen die imperialistische Barbarei vereinen kann. Unsere Bewegung – und nur unsere Bewegung – ist in der Lage, diese Herausforderung zu meistern. Sie verkörpert eine große politische Geschichte und eine große politische Erfahrung, die nun ein ganzes Jahrhundert umspannt. Es gibt keine andere Partei, die in einer Krise, wie wir sie jetzt erleben, ein Verständnis für ihre Dynamik und eine Perspektive vorlegen kann, um in die Situation einzugreifen und sie im Interesse der Arbeiterklasse zu ändern.

    Auch wenn dieser Vortrag kein formeller Bericht über den 100. Jahrestag des Trotzkismus war, hoffe ich doch, dass er zum Verständnis dessen beigetragen hat, was die trotzkistische Bewegung ist und in welchem Verhältnis sie zu den aktuellen Kämpfen steht, mit denen wir konfrontiert sind.

    #Pologme #USA #Israël #Palestine #Allemagne #Berlin #Charlottenburg #Konstanzer_Straße #Bismarckstraße #opéra #musique #nazis #antisemitisme #sionisme #fascisme #auf_deutsch

  • The Israeli state’s fascist ideology and the genocide in Gaza
    https://www.wsws.org/en/articles/2023/12/19/pers-d19.html

    Dans ce discours David North avance quelques arguments pour la thèse que le sionisme est un fascisme.

    Il souligne ces arguments d’actualité par le récit de son hisoire familiale marquée par l’ascension de pauvres musicients ambulants juifs en Pologne à la direction de l’opéra de Charlottenburg, ville indépendante intégrée dans la ville de Berlin en 1920. Après 1933 une partie de sa famille a émigré aux États Unis pendant que les autres ont péri dans les camps nazis.

    This lecture was given by World Socialist Web Site International Editorial Board Chairman David North at Humboldt University in Berlin, Germany on December 14, 2023.

    When one arrives at Humboldt University and one comes into the entrance of the building, one sees the famous quotation from Marx, “The philosophers have only interpreted the world; the point is to change it.” That basic invocation by Marx is one that should always guide speakers when they address a meeting. How is what they say going to contribute to changing the world?

    First of all, I want to thank my comrades in the German section of the International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) for inviting me to lecture this evening at Humboldt University. I understand that they encountered certain problems in establishing the topic of this lecture, and they were informed that the title of my lecture could not include a reference to the ongoing genocide by the Israeli government in Gaza. Well, they have observed this rule and there is nothing in the title which references this immensely significant event. This obvious restriction on free speech is part of the efforts of the German government, the media and subservient academic institutions to forbid and discredit opposition to the crimes being carried out by the Netanyahu government.

    Nevertheless, now that we have observed the restriction on the title of the lecture, I will proceed to speak about the events in Gaza. Is it possible not to?

    During the last two months, the world has been witnessing the Israeli government wage a war of staggering brutality against a defenseless population. The death toll is approaching, and may exceed, 20,000. More than half of those killed are women and children. The total number of casualties is a multiple of that number. During the first six weeks of this war, Israel dropped 22,000 bombs, supplied by the United States, on Gaza. That was just in the first six weeks; a substantial period of time has passed since then. To have some sense of the scale of the assault, bear in mind that the total size of Gaza is 365 square kilometers, which is less than half the area of Berlin (891.3 square kilometers).
    Smoke rises following an Israeli bombardment in the Gaza Strip, as seen from southern Israel, Saturday, December 16, 2023. [AP Photo/Ariel Schalit]

    No section of Gaza and no segment of the Gazan population is being spared by the Israeli military forces. Hospitals, schools, libraries, refugee camps and other public buildings are being bombed. Journalists, doctors, teachers, writers and artists are being deliberately targeted. The murder of the poet Refaat Al-Ar’eer is only the most prominent of the assassinations being carried out at the instructions of the Israeli government.

    This slaughter must be stopped and all those responsible for the crimes that are being committed against the Gazan population, and against all the Palestinian people living under occupation, must be held fully responsible, in accordance with the principles established at the Nuremberg Trials in 1945-46. And if I had any say in the matter, the same penalties would be applied.

    The restriction placed on the title of my lecture contains an element of irony. It is almost exactly one decade ago, in February 2014, that I was physically barred by security guards, summoned by Professor of History Jörg Baberowski, here at Humboldt, from attending a seminar that he had organized to discuss a new biography of Leon Trotsky by Professor Robert Service of Oxford University. In his announcement of the public seminar, it was stated that Service would answer questions from the attendees.
    Baberowski (in green jacket) and his security detail bar David North from entering the seminar in 2014

    Service’s biography was a shameless exercise in historical falsification. Its slanders against Trotsky were so blatant as to evoke a public protest from leading German historians, which resulted in a one-year delay in the release of the biography’s German-language edition.

    Among my objections to Service’s biography, which were detailed in several review essays, was the British historian’s explicit use of stereotypical antisemitic tropes in his denunciation of Trotsky. They included, among many other things, references to the shape of Trotsky’s nose and the changing of his actual Russian first name from “Lev” to “Leiba,” a Yiddish variant of the name used exclusively by antisemitic enemies of the Jewish-born Trotsky.

    As was soon to emerge, the alliance of Professors Baberowski and Service was based on a shared anti-communist political agenda. On the very day that I was barred from the Humboldt seminar, a new issue of Der Spiegel was published featuring a lengthy essay justifying Nazi crimes by arguing that Hitler’s policies were a legitimate response to the “barbarism” of the Bolshevik Revolution.

    Among those who were interviewed by Der Spiegel was Baberowski, who stated: “Hitler was not cruel. He didn’t like to hear of the extermination of the Jews at his table.” Baberowski went on to defend the pro-Nazi views of the now deceased Professor Ernst Nolte, who was at that time Germany’s leading Hitler apologist.

    In the face of the outrage among Humboldt students that followed the publication of Der Spiegel’ s essay, the administration of Humboldt University and the media stood behind Baberowski. This did not change even after a legal ruling by a German court that Baberowski can be referred to as a right-wing extremist. Baberowski enjoyed and continues to enjoy unlimited backing from Humboldt, which enabled him to appoint to the teaching staff of the Department of Eastern European Studies a certain Fabian Thunemann, whose curriculum vitae prior to his Humboldt appointment included participation in a neo-Nazi demonstration protesting the exposure of atrocities committed by the Wehrmacht during World War II.

    Ten years ago, I was barred from attending a seminar at Humboldt because I intended to challenge Service’s falsifications and his use of antisemitic slurs. Now the university, posturing as an irreconcilable opponent of antisemitism, forbids the inclusion of a reference to the Gaza genocide in the name of fighting antisemitism.

    I recall this incident from the not-so-distant past because it exemplifies the cynicism, hypocrisy, demagogy and unrestrained lying that drives the campaign to discredit opposition to Israel’s onslaught against Gaza as “antisemitic.” The use of this slur has become a critical weapon in the efforts of Israel and its imperialist accomplices to intimidate and isolate all those who are protesting the genocide of Palestinians.

    Suddenly, and from so many surprising quarters, warriors against antisemitism have emerged. Last week, in the United States, university presidents were summoned to Washington D.C. and questioned on their failure to suppress allegedly antisemitic protests on American college campuses. Leading the inquisitorial questioning was Congresswoman Elise Stefanik, a Republican from a district in New York State. She demanded to know why the presidents of the University of Pennsylvania, Harvard, the Massachusetts Institute of Technology and other major universities were tolerating calls for “genocide”—which the congresswoman identifies as any student protest that demands an end to the apartheid regime that deprives Palestinians of their democratic rights.
    Rep. Elise Stefanik, an advocate of the fascist “Great Replacement Theory” and supporter of the January 6 insurrection, is a leading proponent of the claim that “Anti-Zionism is antisemitism.” [AP Photo/Mark Schiefelbein]

    But what are Ms. Stefanik’s credentials as a fighter against antisemitism? She is a well-known advocate of what is known as the “Great Replacement Theory,” which claims that Jews are planning the elimination of white Christians in a plot to take over the world. In other words, she is an out-and-out antisemite, in the most classical definition of the term.

    The alliance of forces from the extreme right with the Israeli regime is an international political phenomenon. As you know, the Alternative für Deutschland (AfD), one of whose leaders dismissed the Holocaust as nothing more than a piece of “birdshit” in history, has joined the crusade against antisemitism. And, no doubt, were he still alive, the Führer would join it.

    Last December, a delegation from the Ukrainian Azov Battalion, many of whose members tattoo themselves with Nazi symbols, visited Israel to express its solidarity with the Netanyahu regime. These are not merely isolated and bizarre distortions of what is otherwise a legitimate effort to combat antisemitism. Rather, the entire campaign is based on the falsification of the historical origins and political function of antisemitism. The current campaign exemplifies a process which might be called “semantic inversion,” in which a word is utilized in a manner and within a context that is the exact opposite of its real and long-accepted meaning.

    Through sheer force of repetition, amplified by all the powers at the disposal of the state and the corporate media, the meaning of a term is fundamentally altered. The intended outcome of the falsification is the degrading of popular consciousness and its ability to understand reality.

    A significant example of how the term “antisemitism” is being used to falsify history, distort political reality and disorient popular consciousness is to be found in the recent speech by the silver-tongued Robert Habeck, the vice-chancellor in the present German coalition government. In a key passage, this political Tartuffe stated:

    However, I am also concerned about antisemitism in parts of the political left and unfortunately also among young activists. Anti-colonialism must not lead to antisemitism.

    Can anyone even begin to explain how anti-colonialism would acquire an antisemitic character? He goes on to say:

    In this respect, this part of the political left should examine its arguments and distrust the great resistance narrative.

    I’ll read this in German so that everyone can get the full weight of it:

    Sorge macht mir aber auch der Antisemitismus in Teilen der politischen linken und zwar leider auch bei jungen Aktivistinnen und Aktivisten. Anti-Kolonialismus darf nicht zu Antisemitismus führen.

    Insofern sollte dieser Teil der politischen Linken seine Argumente prüfen und der großen Widerstand Erzählung mistrauen.

    Revealed in this passage is the central purpose of the application of semantic inversion to the word antisemitism. A phenomenon historically associated with the political right is transformed into a central attribute of the political left. The reactionary purpose of this process of falsification was demonstrated in the destruction of Jeremy Corbyn in Britain. I am hardly an admirer of Mr. Corbyn, whose most conspicuous political trait is the absence of a backbone. But for all his opportunist sins, the allegation of antisemitism against Corbyn and his supporters in the British Labour Party is a vicious smear, concocted by his right-wing opponents to destroy him politically.

    Another and even filthier example of the use of the slur is the vicious witch-hunt of Roger Waters. An artist who has devoted his life and art to the defense of human rights is being hounded in an internationally orchestrated campaign to label him an antisemite. Here in Germany, in Frankfurt and Berlin, attempts were made to have his concerts canceled. And what is the motivation for his persecution? Roger Waters defends the basic democratic rights of Palestinians and speaks out against their oppression.

    The complete separation of the term “antisemitism” from its actual historical and political meaning is fully achieved in its use against those who are Jewish who have protested in their thousands against the criminal policies of the Israeli regime. A particularly vile phrase is used against them: “self-hating Jews.” The gist of this insult is that opposition by those who are Jewish to Israeli policies, and to the entire Zionist project, can only be explained as the manifestation of some sort of psychological problem, a pathological rejection of one’s own identity.

    This diagnosis proceeds from the complete dissolution of Judaism as a specific religious identity into the Israeli state and the nationalist ideology of Zionism. An individual’s religious affiliation—which may, in the life of one or another Jewish person, be of limited or even no special importance—is endowed with a vast metaphysical significance.

    This ideological concoction is based not on history, but on biblical mythology. Indeed, the legitimacy of the Zionist project proceeds from the claim that the creation of Israel just 75 years ago marked the so-called “return” of the Jewish people after 2,000 years of exile to their ancestral home “promised” to them by God.

    This mythological nonsense has no basis in historical reality. More than 350 years have passed since Spinoza demolished, in his Theological-Political Treatise, the claim that the Pentateuch was dictated by God to Moses. The Bible was the work of many authors. As the historian Steven Nadler, an authority on Spinoza, has explained:

    Spinoza denies that Moses wrote all, or even most, of the Torah. The references in the Pentateuch to Moses in the third person; the narration of his death; and the fact that some places are called by names that they did not bear in the time of Moses all “make it clear beyond a shadow of doubt” that the writings commonly referred to as “the Five Books of Moses” were, in fact, written by someone who lived many generations after Moses.

    Proceeding from his repudiation of the authority of the Bible, Spinoza further enraged the elders of Amsterdam and provoked his excommunication by denying the claim—which was central to Judaism as a religion and Zionism as a political ideology—that Jews are a “chosen people.” As Nadler writes:

    If the origins and authority of Scripture are now suspect, then so must its grand claims about the “vocation” of the Hebrews. It is “childish,” Spinoza insists, for anyone to base their happiness on the uniqueness of their gifts; in the case of the Jews, it would be the uniqueness of their being chosen among all people. The ancient Hebrews, in fact, did not surpass other nations in their wisdom or in their proximity to God. They were neither intellectually nor morally superior to other peoples.

    Spinoza’s apostasy was informed by the rapid advance of science in the 17th century and rooted in philosophical materialism, and cleared the path for the most progressive and radical political tendencies. It brought down upon his head the wrath of the rabbinical enforcers of orthodoxy. The excommunication of Spinoza was proclaimed in language that was without precedent in its harshness. The excommunication read in part:

    Cursed be he by day and cursed be he by night; cursed be he when he lies down and cursed be he when he rises up. Cursed be he when he goes out and cursed be he when he comes in. The Lord will not spare him, but then the anger of the Lord and his jealousy will smoke against that man, and all the curses that are written in this book shall lie upon him, and the Lord shall blot out his name from under heaven.

    “Excommunicated Spinoza,” 1907 painting by Samuel Hirszenberg [Photo: Samuel Hirszenberg]

    Notwithstanding this denunciation, the name of Spinoza could not be blotted out. The influence of his heretical conceptions has persisted over centuries, contributing profoundly to the development of Enlightenment thought—including the Jewish Enlightenment known as the Haskalah—and its revolutionary political consequences in the 18th, 19th and even 20th centuries.

    The political theology of contemporary Zionism represents the extreme counterrevolutionary antithesis and repudiation of the progressive, democratic and socialist tradition derived from Spinozist and, later, Marxist thought among generations of Jewish workers and intellectuals. Reinterpreting religious myth in the spirit of extreme national chauvinism, contemporary Zionist theology imparts to the concept of a “chosen people” a thoroughly racist and fascistic character.

    While it is widely acknowledged that the Israeli government is composed of parties of the extreme right, this political fact is treated as a minor detail that has no particular relation to the events of October 7 and the Israeli state’s response. Virtually no reference is to be found in political coverage of the war to the influence of an apocalyptic “Theology of Revenge,” which explicitly demands the annihilation of all enemies of Israel, on the policies of the Netanyahu government.

    A central figure in the development of the “Theology of Revenge” was the late Meir Kahane. Born in Brooklyn in 1932, his father, Rabbi Charles Kahane, was a friend and associate of Ze’ev Jabotinsky, the leader of an avowedly fascist wing of the Zionist movement. Meir Kahane initially achieved public notoriety in the United States as the founder of the neo-fascist Jewish Defense League. The JDL targeted black organizations in New York, which Kahane denounced as a threat to Jews.

    In 1971, Kahane relocated to Israel and founded the virulently anti-Arab Kach party. His followers in the United States remained active. The Workers League, the predecessor of the Socialist Equality Party in the United States, became a target of the JDL in 1978 when it sought to disrupt through a bomb attack a showing in Los Angeles of the documentary titled The Palestinian, that had been sponsored by the International Committee.
    Meir Kahane in 1984 [Photo: Gotfryd, Bernard]

    Kahane’s role and influence in Israel is analyzed in an essay titled “Meir Kahane and Contemporary Jewish Theology of Revenge.” Published in 2015, its authors are two Israeli scholars, Adam and Gedaliah Afterman. They explain that Kahane’s theology

    centred on the claim that the State of Israel was established by God as an act of revenge against the Gentiles for their persecution of Jews, especially the systematic killing of Jews during the Holocaust.

    Kahane’s Kach party called for the annexation of all territory seized by Israel in the 1967 war and the violent expulsion of the Palestinian population. Kahane was elected to the Israeli parliament, the Knesset, in 1984. The Kach party was banned from running in the 1988 elections, but its influence continued despite Kahane’s assassination during a trip to New York in 1990.

    The Aftermans’ essay summarizes the three fundamental pillars of Kahane’s theory of revenge.

    First:

    The people of Israel are a collective mythical being ontologically rooted in divinity, that together with God faced a mythical enemy from its early days. This mythical enemy, “Amalek,” is embodied in different actual enemies throughout Jewish history, and the various persecutions and ordeals the Jews have suffered throughout history are manifestations of the same mythical struggle. Furthermore, there is an ontological difference between the mythical nation of Israel and the Gentiles, especially Israel’s enemies. The ontological difference between the Jewish and Gentile soul overrides the Jewish principle that all of humanity was created in the image of God. The belief that Gentiles are inferior and embody the demonic powers of history justifies acts of deadly violence and revenge.

    Second:

    …Thus, the argument proceeds, the people of Israel are religiously obliged to use all means possible to take revenge against their mutual enemies and to rehabilitate their mutual pride and status. Whether or not they realize it, the Palestinians and other forces fighting Israel are part of a mythical, religious battle that seeks the destruction of the people of Israel and its God. These factors permit the use of any and all measures to overcome the enemies.

    Third:

    The establishment of the State of Israel in 1948, shortly after the Holocaust, must serve one purpose: to facilitate redemptive revenge against the Gentiles. The establishment of the modern Jewish state in the historical land of Israel is an instrument for activating the redemptive process, rather than a result or a sign of such a process.

    Summing up the three pillars, the Aftermans explain that

    …Kahane argues that carrying out vengeance against the metaphysical enemy “Amalek” (hostile Gentiles) is fundamental to saving God and his people, both of whom almost ceased to exist as a result of the Holocaust. The establishment of the Jewish state, with its institutionalized power and military might, should, in Kahane’s view, be placed at the service of redemption-bound revenge. Kahane goes so far as to justify acts of vengeance even against innocent people by arguing that they belong to the mythical enemy that must be eradicated as a condition for the redemption of Israel and its God. In his view, the loss of innocent lives, if necessary, is a justifiable sacrifice.

    Kahane interpreted the doctrine of the “chosen people” as a comprehensive repudiation of all association with traditional Western values. He wrote in his book, Or Ha’Raayon:

    This is a Jewish state. It bows in front of Judaism and does not contradict it. It acts in accordance with Jewish values and Jewish commandments even if these contradict international law and diplomacy, even if they contrast the normal Western and democratic lifestyle; this is so even if this puts its interests under risk and threatens to isolate it from the civilized gentiles. … The duty of Judaism is to be separate, unique, different and chosen. This is the role of the Jewish people and their instrument, the State … We have no part in the standard values of the nations. Assimilation does not begin with mixed marriages, but in copying and adopting foreign values, alien and non-Jewish concepts and ideas.

    Kahane’s theory of revenge was identified in Hebrew as the concept of what he called Kiddush Hashem. He wrote:

    A Jewish fist in the face of an astonished gentile world that had not seen it for two millennia, this is Kiddush Hashem. Jewish dominion over the Christian holy places while the Church that sucked our blood vomits its rage and frustration, this is Kiddush Hashem.

    Actually, notwithstanding its semi-deranged invocation of a supposedly unique Jewish philosophy, Kahane’s Kiddush Hashem can be described as a Hebrew-language variant of the philosophy of Adolf Hitler’s Mein Kampf, the main difference being that Kahane’s hate-filled and racist diatribe was written in Hebrew from right to left rather than from left to right.

    Kahane’s influence persisted after his assassination in the increasingly right-wing political environment of Israel. On February 25, 1994, one of Kahane’s students, Baruch Goldstein, murdered 29 Palestinians and wounded another 150 in an attack on a Mosque in Hebron. This crime was praised by Kahane’s followers, including the extremely influential Rabbi Yitzchak Ginsburgh, who proclaimed that the mass murder carried out by Goldstein was an act of Kiddush Hashem.

    Now what does this have to do with today? Itamar Ben-Gvir, the leader of the xenophobic Otzmah Yehudet party, is now the Minister of National Security in Netanyahu’s coalition government. He was a member of the Kach party before it was outlawed. He remains an outspoken defender of the fascist theology and politics of Meir Kahane. This past April, Ben-Gvir, flanked by a security detail provided by the office of the prime minister, delivered a speech in which he praised both Kahane and Baruch Goldstein.
    President Joe Biden is greeted by Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu after arriving at Ben Gurion International Airport, Wednesday, Oct. 18, 2023, in Tel Aviv. (AP Photo/Evan Vucci)

    The invocation of Kahane’s doctrine of revenge by Israeli leaders has become increasingly common since the war began. Last month, Netanyahu declared in a public speech, “You must remember what Amalek has done to you, says our Holy Bible. And we do remember.” The implications of Netanyahu’s reference to Amalek was made explicit in a statement by Israeli Defense Minister Yoav Gallant: “We are fighting human animals, and we are acting accordingly. We will eliminate everything—they will regret it.” Many statements of an identical character have been made by Israeli leaders since the beginning of the war, and these statements have been actualized in the genocidal actions of the Israeli government and military.

    In the midst of the crimes being committed by the Israeli regime, there is no greater and more insidious lie than the claim that opposition to Zionism is, and must be, antisemitic. This is a lie that is refuted by the long history of pre-1948 opposition to Zionism among countless thousands of Jewish workers and intellectuals, spanning several generations, who rejected the myth-based call for a return to Palestine.

    The opposition to Zionism was expressed with the greatest political clarity by the socialist movement, which identified and denounced the politically reactionary character of the perspective of establishing a Jewish state in Palestine. It was understood that this project was a colonialist enterprise, which could only be achieved in alliance with imperialism and at the expense of the Palestinian Arab population that had lived in the territory for 2,000 years.

    Moreover, in their struggle against traditional religious persecution and the emergence, beginning in the late 19th century, of political antisemitism, the great mass of Jews sought to achieve political and social equality within the countries in which they lived. That was of profound truth especially in Germany. They wished to be part of the mass movement against oppression. For the most politically conscious section of Jewish youth, workers and intellectuals, this striving led to active involvement in the socialist movement.

    The present-day claim that Zionism is the necessary and genuine expression of Jewish identity has no basis in history. Moreover, the persistence of democratic convictions and a sympathy for the oppressed rooted in the experience of antisemitic prejudice and persecution finds expression in the large number of Jewish youth who have been involved in demonstrations opposing the Israeli onslaught against the Gazans.

    Despite all the propaganda, the images of the mass killing of defenseless Palestinians cannot help but evoke historical and familial recollections of the fate of the Jews at the hands of the Nazis. Thus, the war against the Gazan people evokes not only a sense of solidarity with the victims of Israeli atrocities, but also a deep anger against the exploitation of the tragedy of the Holocaust to justify the war.

    Of course, the Zionists and their apologists will claim that all that I have said is simply evidence of my deeply rooted antisemitism, which they claim—as I have already explained—is a prejudice widely held within the socialist movement. The more left an individual, the more emphatic his or her opposition to capitalism and imperialism, the more irreconcilable their opposition to the Jewish state and, therefore, their antisemitism.

    This allegation is as absurd as it is politically reactionary. Having been involved in the socialist movement for more than a half century, I really do not have any personal obligation to answer the claim that I and my comrades in the Trotskyist movement are antisemites. As the saying goes, my record speaks for itself.

    But, unfortunately, that is not generally true. The accusation of antisemitism requires the ignoring and distortion of a given individual’s political record.

    So I will, for the first time, respond to the accusation, by adding to my well-known public political record information relating to my personal background. Now having reached a somewhat more advanced age, just a little more than a year away from what will be my 75th birthday, I think the time has come to do this. I do not do so because it will have any effect on the slanderers, but because there are elements of my personal experience that may resonate with a younger generation and encourage them to intensify their struggle in defense of the Palestinians and against all forms of oppression.

    The dominant factor in the development of all individuals is the social and political environment of their time, conditioned at the most fundamental level by the prevailing socioeconomic structures of the societies into which they were born. The personalities of human beings are shaped by what Marx referred to as “an ensemble of social relations.” But these social relations are refracted through personal experiences, both one’s own and those transmitted through family, friends, teachers, acquaintances, and so on.

    I am a first generation American, born in 1950. The location of my birth—in fact, my existence—was determined by the events that had led to the Second World War, which had ended only four and a half years earlier. Both my parents had fled Europe to escape the Nazi persecution of the Jews. My mother, Beatrice, was born in Wilmersdorf on December 18, 1913—the exact same day Herbert Frahm, aka Willy Brandt, was born. The apartment building in which she was born, located on Konstanzer Strasse, still stands. Her father—my grandfather—occupied a significant position in the cultural life of Berlin. His name was Ignatz Waghalter. Born in Warsaw in 1881 into a very poor family of musicians, Waghalter made his way to Berlin at the age of 17 with the intention of receiving a proper musical education.

    My grandfather was the 15th of 20 children. Of those 20 children, 13 died in childhood, four in one day during the typhus epidemic of 1888. Of the 20 children, seven survived—four boys and three girls. My grandfather, from his earliest years, exhibited immense musical talent. By the age of six, he was already performing in the Warsaw circus. At the age of eight, he wrote and composed a revolutionary anthem that was so popular that a search began by the police to discover the name and identity of the insurrectionary musician. They were quite shocked when they discovered that it was an eight-year-old. The Waghalter family had deep roots in the revolutionary democratic struggle of the Polish people. In fact, I recently discovered in a library a revolutionary march written by my grandfather’s grandfather that had been composed in 1848.

    My grandfather wanted to obtain a genuine education. He didn’t want to be just an itinerant musician, he wanted to go to the musical capital of the world—Berlin—and learn how to become a serious composer. He was smuggled across the border in 1897 without any money. He endured great hardship, but eventually came to the attention of the great violinist and friend of Brahms, Joseph Joachim. Upon the recommendation of Joachim, my grandfather was admitted to the Akademie der Kunste. In 1902, his Sonata for Violin and Piano was awarded the coveted Mendelssohn Prize. Two years later, Ignatz’s younger brother Wladyslaw, who had followed him to Berlin, was awarded the same prize for his achievements as a violinist.

    Following his graduation, Ignatz obtained a post as a conductor at the Komische Oper. An appointment to the Essen Opera house followed several years later. But the decisive turning point in his musical career came in 1912, when he was appointed first conductor at the newly constructed Deutsches Opernhaus on Bismarck Strasse in Charlottenburg, known today as the Deutsche Oper. Of course, the original building was destroyed in the course of the Second World War and rebuilt, though it’s located on the same street today. Wladyslaw Waghalter was appointed concertmaster of the new opera house, which opened on November 7, 1912 with a performance of Beethoven’s Fidelio. Despite vocal opposition from antisemites and numerous death threats, Ignatz Waghalter conducted the premier performance.

    For the next 10 years, my grandfather maintained his position as first conductor at the Deutsches Opernhaus. Three of his operas, Mandragola, Jugend and Sataniel, had their premier at the opera house. Waghalter was known for his championing of the operas of Giacomo Puccini, whose music had been previously dismissed by a musical establishment obsessed with Richard Wagner. Waghalter conducted the German premier of Puccini’s La Fanciulla del West [Das Mädchen aus dem goldenen Westen] in March 1913, with Puccini in attendance. It was a triumph that established Puccini’s reputation as a great master in Germany.

    Throughout his lengthy tenure at the Deutsches Opernhaus, Waghalter had to contend with both anti-Polish and antisemitic prejudice. Though he himself did not observe any religious rituals or attend synagogue, Waghalter refused—in contrast to many other Jewish-born conductors—to convert to Christianity. The thought of changing one’s religion for the purpose of advancing one’s career, thereby adapting to antisemitic prejudice, was abhorrent to him.

    In 1914, upon the outbreak of World War I, Waghalter was forbidden to conduct because he had been born in the Russian Empire, with which Imperial Germany was at war. Protests by the opera-loving public of Charlottenburg led to his reinstatement.

    Waghalter remained at the Deutsches Opernhaus until 1923, when it went bankrupt in the midst of the catastrophic inflationary crisis. He spent a year in the United States as head of the New York State Symphony Orchestra. He then returned to Germany, where he was appointed musical director of the film company, Ufa. But he was unable to return to the Städtische Oper, as the reorganized and reopened Deutsches Opernhaus was then known.

    The coming to power of Hitler effectively ended his career, and that of his brother, as musicians in Germany. My mother, not yet 20, had a premonition that the Third Reich would cost Jews not only their careers, but also their lives. Beatrice urged her parents to leave Germany before it became impossible to escape. They followed her advice and left Germany, traveling first to Czechoslovakia and then to Austria.

    My mother, a highly gifted musician, remained in Germany. She joined the Jüdische Kultur Bund, where she performed as a singer at private homes of Jews throughout Germany. In 1937, she obtained a visa to enter the United States. She managed to secure entry visas for her parents. My grandparents arrived in New York in May 1937. Within days of arriving, Ignatz initiated a project of historic significance, the creation of the first classical music orchestra composed of African American musicians.

    This radical project encountered bitter opposition in the racist environment of the time. Waghalter frequently invited black musicians to rehearse at his apartment. This resulted in the circulation of a petition, signed by virtually all the white residents of the apartment building, demanding Waghalter’s eviction if he continued this practice.

    My grandfather was interviewed by the African American newspaper of Baltimore. He expressed the convictions that had inspired his creation of the symphony orchestra, stating, “Music, the strongest citadel of universal democracy, knows neither color, creed nor nationality.”

    Despite Waghalter’s immense efforts, the reactionary environment made it impossible to sustain the orchestra. During the final decade of his life, Waghalter became increasingly isolated. He lost contact with his family. Only after the war did he learn that his brother Wladyslaw—who had not been able to leave Germany—died suddenly in 1940 after a visit to Gestapo headquarters. His wife and one daughter perished in Auschwitz in 1943. In fact, on Brandenburgerstrasse 49, the location and address of my great uncle Wladyslaw, you can see Stolpersteine in which the life and death of Wladyslaw and his family are memorialized.

    Fortunately, one daughter of Wladyslaw, Yolanda, managed to escape. She made it to South America, lived in Peru, where she became first violinist in the Lima Symphony Orchestra, and her son Carlos, my second cousin, now lives in New Orleans, and we have been close friends for most of our adult lives. Ignatz’s brother Joseph died in the Warsaw Ghetto. Two of the three sisters also perished in Poland. Only his oldest brother, the great Polish cellist Henryk Waghalter, managed to survive the war. My grandfather died suddenly in New York at the age of 68 in April 1949.

    During his brief exile in Czechoslovakia in 1935-36, my grandfather wrote a brief memoir, which concludes with a statement of his ideals as an artist. He recognized that the Nazis represented a mortal threat to the Jews, but he expressed the conviction that the criminals of the Third Reich would not emerge victorious over the ethical and moral commitment of the Jewish people to justice. Waghalter acknowledged that he did not yet know where he would be able to find refuge. And so he ended his memoir with the words:

    Wherever it may be, I wish to serve art and humanity in accordance with the words of Moses, “You were freed from slavery in order to serve your brothers.”

    Clearly, my grandfather’s conception of Jewish ethics was very different from that which prevails in the Netanyahu government and the present-day Zionist state. He would be appalled and horrified if he knew what was being done in the name of the Jewish people. There could be no greater slander, no greater gift to the real antisemites, than to associate the Jewish people with the crimes that are being presently committed each day against the oppressed Palestinian people.

    The story of my grandfather’s life and its relation to the catastrophe that had overwhelmed European Jewry was a constant topic of discussion in my childhood home. My grandmother, Ignatz’s widow, whom we called Omi, lived with us. I spent countless hours in her room, where she told me of life in Berlin, the friendships with so many great artists, being pinched on her backside by Giacomo Puccini, all the friends she knew, the writers, and even scientists, including Albert Einstein, who frequently visited the apartment on Konstanzerstrasse, where he enjoyed playing his violin as part of a string quartet. The apartment residents did not object.

    The stories of my grandmother were supplemented by those told by my mother, who had enjoyed an especially close relationship with her father. Most of the stories were told in German, which enjoyed equal status with English in our home.

    At least on the street where I lived, this was not unusual. Many of our neighbors were refugees: Dr. Jakobius, Frau London, Frau Spitzer, Frau Rehfisch, Walter and Uschi Bergen, Dr. Hartmann and Dr. Gutfeld. There were others whose names I do not remember, but it was as if a substantial portion of Charlottenburg had been reassembled in a New York City suburb. And then there were the many friends who lived in other parts of the city but were frequent vistors: Greta Westman, Dela Schleger and Kurt Stern.

    So many of the discussions describing life in Berlin led to the phrase: “Und dann kam Hitler.” Then came Hitler. That was the event that changed everything. And this, in my young mind, led to so many questions. “How did Hitler come?” “Why did Hitler come?” “Did anyone, before 1933, see him coming?” “When did my grandparents and mother first hear of Hitler and realize that he might come?” And, finally, the most important question of all, “Why didn’t people stop Hitler from coming?”

    This was a question for which no one I knew had any fully formed and convincing answers. But there were certain elements of the answers that I received at home that were helpful. First, the Nazis were clearly identified as a right-wing movement. The dividing line, therefore, in my family between good and evil had not been between German and Jew, but between left and right. This division, my mother insisted, existed not only in Germany, but throughout the world, and, of course, within the United States. She would occasionally look at some American politicians and she would say, “Ich traue nicht dieser Bande” (“I don’t trust this gang.”)

    My mother was especially emphatic on this point. She hated fascism. When she noticed or encountered certain exceptionally objectionable social and political attitudes, she was inclined to describe the offending individual as “ein echter Fascist,” a real fascist.

    She was certainly aware of the existence of antisemitism in Germany prior to Hitler. She encountered such tendencies even before Hitler began to come, among teachers at her school. But she often made the point about these tendencies, that she would never have believed, and did not believe, that they would develop inevitably into mass murder. She did not believe in such an inevitability. Moreover, she never expressed a trace of hatred or bitterness towards Germans. She was proud that her command of the German language had not diminished even 60 years after her flight from Germany.

    It would take many years before I could find a politically convincing answer that explained how fascism had come to power in Germany. Like many of my generation, I passed through the experience of the Civil Rights movement, the ghetto uprisings and the Vietnam War. The explosive events of the 1960s stimulated my study of history, and encouraged the tendency to situate contemporary events in a broader temporal framework. Moreover, anger over the never-ending Vietnam War and steadily increasingly disillusionment with the Democratic Party and American liberalism impelled me further toward socialism. This process led finally toward my initial discovery, in the autumn of 1969, of the writings of Leon Trotsky.

    I immersed myself in the study of his available writings: his monumental History of the Russian Revolution, his autobiography My Life, The New Course, Lessons of October, and The Revolution Betrayed. All of these works served as the foundation of my decision to join the Trotskyist movement. But the volume that had the greatest impact upon me was a collection of Trotsky’s writings devoted to the struggle against the rise of the Nazis to power between 1930 and 1933.

    During those critical years, Trotsky lived in exile on the island of Prinkipo, off the coast of Istanbul. He had been exiled there by the Stalinist regime. Nearly 2,000 miles away from Germany, he followed the events that were unfolding. His articles, the warnings he made of the danger posed by Hitler and the Nazi party, are unequalled in political literature.
    Leon Trotsky at his desk in Prinkipo

    Trotsky not only explained the nature of fascism—its class basis and essential function as an instrument of political terror against the socialist and working class movement—but he also explained how the Nazis could be defeated. He exposed the policies of the Stalinist Communist Party, of the so-called Third Period, which declared that Social Democracy and fascism were identical. He countered this bankrupt ultra-left policy with a call for a united front of all the working class parties to defeat the Nazi threat. His warnings were ignored. Stalinism, as well as the betrayals of Social Democracy, made possible the victory of the Nazis.

    But Hitler’s rise to power and the ensuing catastrophe of World War II and the Holocaust were not inevitable. They were the outcome of the political betrayals of the reformist and Stalinist leaderships of the working class. To understand that, to understand what fascism was—and, when I think back on it, realizing that I was growing up only a few decades after this all had happened—had upon me a profound effect. Realizing that there must never again be fascism, and coming to understand that it was possible to defeat this political horror, one was obligated to become active in the socialist movement, and particularly in that political organization which had correctly analyzed and provided an answer to the greatest threat that humanity confronted.

    Trotsky rooted the rise of fascism not in the German psyche, but in the historical crisis of capitalism and the nation-state system. Hitler and the fascist regime represented, in the final analysis, the desperate attempt of German capitalism to find a solution, through war and mass murder, to the restraints imposed upon it by the existing nation-state system. It was compelled to “reorganize Europe.” But this was not an exclusively German problem. The crisis imposed upon American imperialism an even greater challenge, in which it is engaged today: the task of reorganizing the world.

    In subsequent writings, written after Hitler had come to power, Trotsky warned that fascism and the outbreak of World War II would confront European Jewry with the danger of extermination. The danger, he wrote, could not be averted by Zionism, which advanced a national solution to a problem rooted in the global contradictions of the capitalist system.

    Following the victory of the Nazis, Trotsky insisted that the fate of the Jews was more than ever bound up with the fate of socialism. He wrote, in a letter dated January 28, 1934:

    The entire Jewish historical fate being what it is, the Jewish question is an international one. It cannot be solved through “socialism in a separate country.” Under the circumstances of the present vile and detestable anti-Semitic persecutions and pogroms, the Jewish workers can and should derive revolutionary pride from the knowledge that the fate of the Jewish people can only be solved through the full and final victory of the proletariat.

    This perspective has been vindicated by history. Those who claim that the founding of Israel was a political triumph have a peculiar idea of what a political triumph consists of. The creation of a state that is founded on the blatant theft of other people’s land, that denies on a purely racialist basis the basic democratic rights that should be afforded to all citizens, that sanctifies hate and revenge as a basis of state policy, that systematically conditions its own citizens to kill and torment the people it has stolen from, and which has turned the country into the most hated in the world—this can hardly be described as a “political triumph.” It is a political degradation.

    The ongoing war, for all its horrors, has made one significant political contribution. It has awakened the youth. It has opened the eyes of the world. It has exposed the Zionist regime and its imperialist accomplices for the criminals they are. It has set into motion a tidal wave of outrage that is sweeping across the world and will sweep across those responsible for this genocide.

    But the great challenge that confronts our movement is to imbue the outrage with a revolutionary socialist program that can unify the global working class in a common struggle against imperialist barbarism. Our movement and only our movement is equipped to meet this challenge. It embodies a vast political history and a vast political experience that spans now an entire century. There is no other party which can bring to bear, in a crisis such as that which we now face, an understanding of its dynamic and a perspective to intervene in the situation and change it in the interests of the working class.

    So while this lecture was not a formal report on the centenary of Trotskyism, apart from present day events, I hope that it has contributed to your understanding of what the Trotskyist movement is and its relationship to the present-day struggles which we confront.

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